175 Jahre Adventskranz: Von Wicherns Wagenrad zum Bauklotz-Set
30.11.2014, 10:00 UhrErna Blank (62) hat neulich vor allem die älteren Damen von Heinersdorf in ihre Garage eingeladen. Es gab Tee, Kaffee, Kuchen – und jede Menge Grünzeug. Zweige von Tannenbäumen und serbischer Fichte lagen bereit. 15 Frauen kamen, teils gestützt auf den Rollator, auf Krücken oder Stöcke, alle voller Vorfreude. Mit Gartenscheren und Seitenschneider stutzten sie die Zweige zurecht, formten Sträußchen und banden diese mit Draht um einen Eisenkranz mit 1,20 Metern Durchmesser. Bei so vielen helfenden Händen war das Werk rasch vollbracht, der mächtige Adventskranz, der nun Langenzenns evangelische Stadtkirche schmückt, fix und fertig gebunden.
Das gemeinsame Binden hat Blank vor acht Jahren eingeführt, als sie noch dem Kirchenvorstand angehörte. In ihrer Familie waren Adventskränze immer ein Werk der eigenen Hände. Es ist diese Arbeit, „bei der es immer so gut riecht, man plaudern und Musik hören kann“, die Erna Blank jedes Jahr aufs Neue als „das erste sinnliche Ereignis erlebt, das mich so richtig auf Weihnachten einstimmt“.
Adventskränze entwickelten sich im 19. Jahrhundert zum festen Bestandteil der Vorweihnachtszeit. Dem Internet-Lexikon Wikipedia zufolge gehen die Anfänge auf das Jahr 1839 zurück. Der evangelisch-lutherische Theologe und Erzieher Johann Hinrich Wichern vermittelte demnach Kindern, die er betreute und die ihn immerzu löcherten, wann denn endlich Weihnachten sei, ein Gefühl für die Zeit bis Heiligabend, indem er aus einem alten Wagenrad einen Holzkranz mit 20 kleinen roten und vier großen weißen Kerzen als Kalender baute. Später wurde daraus der Adventskranz mit vier Kerzen, um 1860 kam Tannengrün ins Spiel.
Fürths evangelischer Dekan Jörg Sichelstiel berichtet, es irritiere manche Menschen, dass die Zählweise beim Adventskranz am ersten Adventssonntag beginnt, während beim Adventskalender, der auch seit dem 19 . Jahrhundert als Zählhilfe zum christlichen Brauchtum gehört, das erste Türchen am 1. Dezember geöffnet wird. Selten fällt beides zusammen. Wichtig findet Sichelstiel aber vor allem, dass es weder im einen noch im anderen Fall um eine Verkürzung der Vorweihnachtszeit geht. Eher im Gegenteil: „Als Christ soll ich mir diese Zeit, die eine Buß- und Besinnungszeit ist, bewusst machen, sie schätzen und nutzen, um mein Leben zu prüfen.“
Unter der Bezeichnung „Adventskranz“ firmieren längst allerlei Kreationen, die das ursprüngliche Gebinde nurmehr stilisieren. Da werden Vierkanthölzer in unterschiedlich hohe Stücke gesägt, mit Kerzen bestückt und durchnummeriert. Oder es werden Treibholzstücke zu länglichen, mediterran anmutenden Gebinden arrangiert, auf denen sich vier Kerzen platzieren lassen.
Erna Blank schaut sich trendigen Adventsschmuck gerne an, liebt persönlich aber das Klassische: „Rund muss er sein, Tannengrün und rote Kerzen haben.“ So sieht das auch Andrea Neukamm. Die 46-Jährige verkauft in dritter Generation Obst, Gemüse — und aktuell auch alle möglichen Varianten von Adventsschmuck auf dem Fürther Wochenmarkt. Bei Neukamm und ihrer Kollegin Daniela Frosch (41) gibt es vom Rohmaterial, den Zweigbündeln, über kleine, mittlere und große grüne Kränze bis hin zu den dekorierten Endprodukten samt Kerzen und Kugeln, Zapfen und Zimtstangen das ganze klassische Sortiment. Und alles ist selbst gemacht.
Drei Stunden Schlaf
Seit eineinhalb Wochen sitzen die zwei Marktfrauen nach Feierabend in Neukamms Keller und binden im Akkord Kränze in allen möglichen Grünschattierungen. Gerade mal drei Stunden Schlaf sind momentan drin, mehr nicht. Denn die Bindearbeit zieht sich oft bis Mitternacht hin, um drei Uhr früh ruft schon wieder der Wecker, ist es Zeit aufzustehen und zum Großmarkt zu fahren. Die Frage, ob sie das vorweihnachtliche Schaffen wie am Fließband als Stress empfinden, verneinen beide entschieden. „Das ist Entspannung“, versichern beide. Denn, so Daniela Frosch: „Man muss ja nicht viel denken dabei, das ist, wie eine Tasse Kaffee zu trinken.“
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