Abends noch schnell zu Billy
24.08.2011, 22:00 Uhr
Der Geheimtipp heißt Köttbullar. Ab 18 Uhr gibt es die schwedischen Fleischbällchen zum halben Preis, und der elfjährige Jonas und der achtjährige Justus lassen sich die Teller kräftig füllen. Mutter Elke Ködel schaut wachsam und ein bisschen besorgt: Nur eine Stunde noch und die Familie aus Bayreuth hat „noch gar nichts“ gekauft... Aber zuerst wird gegessen!
Eine Idee, die offensichtlich viele haben. Das Restaurant ist gut gefüllt um sieben. Die einen lehnen sich schon entspannt zurück, das zufriedene Raubtierlächeln erfolgreicher Käufer im Gesicht. Die anderen schaufeln das Abendessen schnell hinein und drehen dann ihre Runde.
Mit antizyklischem Verhalten hat man bei Ikea Erfahrung. In den Ferien zum Beispiel setzen die Schweden mehr Mitarbeiter ein als während der Schulzeit, denn dann haben die Kunden Muße zum Möbelkauf. Und wenn das Wetter schlecht ist, lassen die 350 Mitarbeiter den Bürokram links liegen: Dann ist das Haus meist voll und der Beratungsbedarf hoch. Zum Beispiel in der Küchenabteilung.
„Ein Eckunterschrank, eins, zwei...acht hohe Schränke“, Petra Roth zählt alles noch einmal auf dem Plan durch. Stimmt! Die Beraterin am Expresskauf nickt und klickt: Neun Packungen Füße also. Dazu 1,95 Meter Wandabschluss und Dekorleiste. „Was bleibt mir übrig? Meine Wohnung ist vor vier Wochen im Hochwasser untergegangen“, sagt die 49-Jährige aus Leutenbach bei Forchheim.
Inzwischen hat sie eine neue Unterkunft gefunden. Aber zwölf Wochen Lieferfrist für eine neue Küche wie bei anderen Herstellern üblich? So viel Zeit hat Petra Roth nicht. Also hat sie mit ihrer Freundin Katrin Hofmann daheim am Computer eine Wunschküche gebastelt und dem Grundriss im Möbelhaus den letzten Feinschliff verpasst. Alle Teile, die sie selbst transportieren können, nehmen sie gleich mit. Bei allem Unglück: Die Laune ist gut. „Ich bin versichert“, sagt Petra Roth. Und die Küche ist quasi fertig.
Entlang der gewundenen Wege durchs Möbelhaus sieht man um halb acht noch viele Menschen, die prüfend Schubladen aufziehen, Schranktüren aufklappen und mit den Fingern über Gardinen und Bettbezüge streichen. Lisa Jäger hebt gerade Regalbretter an. Die 21-Jährige aus Kraftshof will Medienwirtschaft studieren und nach Stuttgart ziehen. Das Sofa „Klabo“ ist schon notiert, zwei Regale und eine Verbindungsstange sucht sie mit ihrer Grundschulfreundin Yvonne Schulze gerade aus. „Expedit“ vielleicht, oder doch „Billy“, den Klassiker? Sie schreibt beide Namen mit dem kleinen gespitzen Bleistift auf, von dem in Poppenreuth drei Paletten jährlich verbraucht werden.
Die Uhr tickt
Möbel wachsen ja mit. Die Studentenregale wandern später in den Keller und das schmale Bett ins Kinderzimmer, wenn sich die Eltern ein neues Schlafzimmer holen. Oder anderes. Ikea hat rund 9000 Artikel im Sortiment, ein Kunde verbringt durchschnittlich zwei Stunden — ohne Restaurantbesuch — im Möbelhaus. „Keine Zeit, keine Zeit!“ winkt Elena Ninova ab. Die gebürtige Bulgarin, die mit Mann und Kind aus Ansbach angereist ist, kramt hektisch zwischen Bettwäsche und Tischdecken: „Wir brauchen noch so viel!“
Schon mahnt die erste Durchsage: „Es ist jetzt 19.45 Uhr, wir möchten Sie darauf hinweisen, dass wir in wenigen Minuten...“ Natürlich geht Punkt acht keine Schranke runter. Jeder darf zu Ende einkaufen, während Ikea-Mitarbeiter vom Eingang losgehen und sanft anschieben.
Aber innerlich tickt ja die Uhr. Anke Murdfield hat schon einen roten Kopf vor lauter Anstrengung, aber auch einen festen Plan. Mit Partner Wilhelm Diesch schlichtet sie Stuhl um Stuhl auf den Einkaufswagen, ruck, zuck! Heute wird ein Esszimmer — „Das ist die Bank, stimmt die Nummer?“ — plus Garderobenregal gekauft. Siebenmal schon ist Murdfield umgezogen, darunter waren drei gemeinsame Umzüge.
Gerade richtet sich das Paar aus der Nähe von München in Franken ein. Wieder bei Ikea. An den Kinderbetten, findet die Mutter, müssten die Schweden noch mal arbeiten, was Schönheit und Haltbarkeit betrifft. Und die blauen Boxen, in denen die Winterhandschuhe aufbewahrt werden, waren nicht vorrätig. Pech? Ein bisschen schon, denn die Fehlquote liegt laut Ikea bei einem Prozent.
Sonst ist alles auf dem Wagen — und jetzt zur Kasse! Kurz nach acht ruht das Paar umarmt und glücklich auf einem Sofa vor der Warenausgabe aus. „19.05 Uhr rein, 20.10 Uhr raus“, sagt Anke Murdfield, „das ist Powershopping, oder?“
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