Als die Bombe fiel

24.08.2013, 09:00 Uhr
Als die Bombe fiel

© Thomas Scherer

„Wenn ich einen Düsenjäger höre, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter“, sagt Georg Kindl. Und er versucht, das Geräusch nachzuahmen, das dem Einschlag der Bombe in sein Elternhaus in Oberasbach unmittelbar vorausging.

Am 10. August 1943 werden 653 englische Bomber für einen Angriff auf Nürnberg aufgetankt, den sie in der Nacht zum 11. August fliegen sollen. An Bord haben sie, wie Historiker heute wissen, 680 Sprengbomben, 16000 Benzin-Phosphorbomben und 71000 Stabbrandbomben.

Zur Verteidigung der Großstadt sind rundum Flakstellungen (Flugabwehrkanonen) stationiert, die möglichst viele der Kampfflugzeuge der Royal Air Force abschießen sollen, bevor sie ihre tödliche Fracht abwerfen können. Auch in Oberasbach schießt eine der Batterien in den Himmel. In der Nacht soll sie vermutlich mit einer Luftmine ausgeschaltet werden. Sie verfehlt jedoch ihr Ziel und geht über der heutigen Rangaustraße nieder.

Die Wohnhäuser der Familien Bauer und Kindl werden getroffen. In den Trümmern sterben Anna und Hans Beins, Margarete Endreß, Margarete Bauer und ihre beiden Söhne Hans und Konrad im Alter von sechs und sieben Jahren. Auf der Straße kommt Betty Schuster ums Leben, als sie gerade zum Haus der Bauers eilt, weil es dort einen Luftschutzraum gibt, der sich aber als Falle erweisen soll. „Ihr wurde der Kopf abgerissen“, erinnert sich Georg Kindl noch heute mit Schrecken.

Gegenüber in Georg Kindls Elternhaus versammeln sich die Familie und weitere Bewohner in der Küche, die wegen eines Stahlträgers in der Decke als vermeintlich sicherster Raum gilt. Den Luftschutzraum der Bauers, der später verschüttet wird, versuchen sie nicht mehr zu erreichen. Es ist zu spät, denn die Alarmsirene heult erst los, als die Oberasbacher schon durch das Dauerfeuer der Flak gewarnt sind.

Doch auch der Stahlträger in der Küchendecke hält nicht, durch den ungeheuren Luftdruck sackt das Haus in sich zusammen. Vier weitere Menschen sterben: Karl Litz, Betty Breiter und Georg Kindls 16-jährige Schwester Johanna, genannt Hannchen. Später erfahren sie noch von der anderorts getöteten Rosalinde Nußschall.

Vater Hans Kindl befreit sich selbst aus den Trümmern. Unter Schock stehend handelt er zunächst irrational und beginnt, kleine Flämmchen auf der Straße auszutreten, statt nach Überlebenden zu suchen. Freigraben kann sich auch Prinz, der kleine Familienhund der Kindls. Der Pinscher zeigt ungeahnte Fähigkeiten, als die Rettungsmannschaft herbeieilt, er bellt an den Stellen, an denen die noch Lebenden verschüttet sind. Die Helfer bergen darauf Mutter Rosa Kindl und den 14-jährigen Lehrbuben Georg sowie die unter dem Küchenherd eingeklemmte Magdalena Breiter, alle drei mit schweren Verletzungen.

In Nürnberg kommen allein in dieser Nacht 582 Kinder, Frauen und Männer ums Leben.

Bis November 1943 werden Georg und seine Mutter im Krankenhaus versorgt. Sie haben beide mehrfach Brüche und Quetschungen. Die Nazis verleihen ihnen ganz wie Soldaten das Verwundetenabzeichen. Kein Trost insbesondere für Mutter Rosa, die den Tod ihres Hannchens nur schwer verkraftet.

Während Ehefrau und Sohn im Krankenhaus sind, werden Hannchen und die andere Todesopfer der Bombennacht beerdigt. Mit dabei auch der kleine Pinscher Prinz, den der obdachlose Vater während der Trauerfeier in der Nachbarschaft untergebracht hat. Prinz befreit sich, läuft zum Zirndorfer Friedhof und ist mitten unter den Trauergästen. „Ist das nicht merkwürdig?“, wundert sich Georg Kindl über den wundersamen kleinen Hund.

Hausrat verloren

Provisorisch richtet Hans Kindl einen Raum neben der noch stehenden Waschküche auf dem Grundstück her, damit die Familie wieder eine Behausung hat. „Dort haben wir Weihnachten 1943 gefeiert“, erinnert sich der 84-Jährige. Da fast aller Hausrat verloren war, aßen sie gemeinsam aus einem Topf. „Für uns war es trotzdem ein schönes und glückliches Weihnachten, denn wir hatten überlebt, wir waren wieder zusammen, nur die Schwester hat gefehlt.“

Den traurigen Schlussakt erleben die beiden zerstörten Wohnhäuser kurz vor Kriegsende. Das letzte Nazi-Aufgebot kommt zu den Trümmergrundstücken. Sie nehmen, gegen die Widerstand Hans Kindls, die Sandsteine von den Trümmergrundstücken mit, um eine völlig nutzlose Panzersperre gegen die heranrückende US-Armee zu bauen.

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