Der Tag, an dem die Giftwolke über Fürth zog
28.8.2008, 00:00 UhrDie Straßen rund um die Schwelbrennanlage waren wie leer gefegt. Um 9 Uhr heulten die Sirenen, auch im Radio wurde die Bevölkerung gewarnt. Polizeistreifen brausten durch die Vororte, um die Bürger anzuweisen, Fenster und Türen geschlossen zu halten. Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass 73 Menschen wegen Reizungen der Augen und Atemwege behandelt werden mussten, sechs blieben sogar über Nacht in der Klinik.
Wegen einer defekten Dichtung war mehr als eine Stunde lang giftiges Schwelgas ausgetreten. Es war der folgenschwere Höhepunkt einer ganzen Reihe von Pannen. Nach dem Störfall wuchs von Woche zu Woche der Druck der Öffentlichkeit auf die Firma Siemens, aber auch auf die Politik. Im Januar 1999 kam das Aus für die Schwelbrennanlage: Der Abfall-Zweckverband Rangau, ein Verbund von Stadt und Landkreis Fürth sowie dem Landkreis Neustadt, erklärte die Zusammenarbeit mit dem Anlagenbauer Siemens und der Betreiberfirma UTM für beendet.
Großes Medieninteresse
Als Pressesprecher von UTM hat Kurt Krömer, der heutige Steiner Bürgermeister, die damalige Entwicklung aus nächster Nähe miterlebt. Das Medieninteresse sei enorm gewesen, erinnert er sich. Schließlich handelte es sich bei der Technik um eine Weltneuheit. Am Tag des Störfalls - als aus dem High-Tech-Traum ein Technik-Alptraum wurde - hatte er eigentlich frei, die Tochter feierte Geburtstag. Aus dem kurzen Abstecher ins Büro, um «schnell was zu erledigen», wurde ein langer Arbeitstag. Der Geburtstag fand ohne ihn statt. In den folgenden «hektischen Wochen» war es seine Hauptaufgabe, die Medien darauf hinzuweisen, dass der Weltkonzern Siemens die Verantwortung für den Störfall trage, schließlich sollte UTM erst nach dem Probebetrieb das Ruder übernehmen.
Die Mitglieder des Zweckverbands mussten für die havarierte Anlage tief in die Tasche greifen. Zwar schulterte Siemens den Löwenanteil des Defizits, an der Stadt Fürth blieben aber immer noch 8,8 Millionen Mark hängen, am Landkreis 5 Millionen Mark. Siemens stieß die Schwelbrennanlage schließlich an den niederbayerischen Bauunternehmer Günther Karl ab, der die technischen «Innereien» ausschlachtete und verkaufte. Und zehn Jahre später? Das Gebäude steht immer noch leer. Zu einer neuen Nutzung sind laut Fürths Wirtschaftsreferent Horst Müller schon die «wildesten Anfragen» bei der Stadt eingegangen - unter anderem von einem Diskobetreiber. Müller habe sie stets an Günther Karl weitergeleitet, doch offenbar sei nie etwas daraus geworden.
Auch wenn die Schwelbrennanlage nicht «ganz oben» auf Müllers Agenda steht, bedauert der Wirtschaftsreferent, dass keine Bewegung in die Sache kommt. «Aber wir können den Eigentümer ja nicht zwingen», sagt er. Zumal es wirklich nicht einfach sei, die Anlage zu verwerten. Das Gebäude sei zwar groß, aber dafür sehr verwinkelt und noch dazu massiv gebaut - ein Abbruch schier unbezahlbar. Und: Eigentümer Karl steht nach Müllers Worten alles andere als unter Druck, die Anlage an den Mann zu bringen, schließlich habe er sie «äußerst günstig» von Siemens erworben.
Auf Anfrage der Fürther Nachrichten sagte Karl gestern, in Sachen neuer Nutzung «deutet sich etwas an». In sechs Wochen wisse er mehr. In etwa das hatte er allerdings schon vor einem Jahr gegenüber den FN gesagt. Damals war von «vier Wochen» die Rede gewesen.