Frohes Fest?
24.12.2009, 00:00 Uhr
Hermann Liebel aus Fürth kannte die Firmengründer, «Herrn und Frau Schickedanz», noch persönlich. 38 seiner 57 Lebensjahre hat er bei Quelle gearbeitet, ehe er den Brief bekam, in dem es hieß, dass seine Arbeitskraft nun verzichtbar sei. Liebels Aufgabe war es, Stoffe für die Oberbekleidung auszuwählen. Er war viel auf Messen, viel bei Zulieferbetrieben. «Und plötzlich wirst du nicht mehr gebraucht.»
Liebel will nicht ausführlich werden. «Man muss abschließen. Denn es hilft ja nichts.» Wie es weitergeht, weiß er nicht. «In meinem Alter», meint er, «muss ich es mit meinen Kontakten versuchen.» Die Chancen freilich schätzt er als nicht allzu gut ein, denn mit der Quelle-Pleite brach auch den Zulieferfirmen Umsatz weg. Nein, guten Mutes gehe er nicht in dieses Weihnachtsfest hinein, gesteht Liebel. Doch er will nicht jammern. «Das Wichtigste ist ja, dass ich meine Familie habe.» Den Heiligabend verbringt Liebel mit seiner Frau - sie verlor ihren Job 2007, als der Quelle-Kundenservice aufgelöst wurde - und Angehörigen bei seiner Mutter.
Iris Müller (42, Name geändert) denkt beim Einkaufen neuerdings zweimal darüber nach, ob sie Dinge wirklich braucht. Modische Winterschuhe für die Kinder hat sie kürzlich im Laden gelassen. Voriges Jahr wäre das anders gewesen. «Das Quelle-Weihnachtsgeld», so die Zirndorferin, «hab ich immer direkt verkauft», also in Geschenke umgesetzt. Eine Playstation samt Spielen war schon mal drin. Geschenke werden auch heute unterm Christbaum liegen, sogar ein Fernseher für den Sohn. «Aber diesmal hat die ganze Familie zusammengelegt.»
Pia Girstl (51) aus Wilhermsdorf ist überglücklich. Sie weiß: Bald beginnt für sie ein neues Leben. Fast 20 Jahre stand Girstl im Dienst der Quelle, zuletzt hat sie sämtliche Quelle-Shops im Land betreut. Dann das Aus. Eine Lücke im Lebenslauf kam nicht infrage. Girstl heuerte in einer Bäckerei an, schob Früh- und Spätschicht, schlichtete Brotlaibe in Regale, wuchtete Bleche voller Brötchen in den Ofen. «Ein harter Job.» Girstl suchte weiter nach Alternativen, schrieb 70 Bewerbungen - und zog das große Los. Am 18. Januar tritt sie ihre neue Stelle an. Die Zusage hat sie, den Vertrag noch nicht unterschrieben. Deshalb nur so viel: Es ist genau die Stelle, die sie wollte, sie ist unbefristet und von Wilhermsdorf gut erreichbar.
«Ich hätte diesem Weihnachten mit sehr gemischten Gefühlen entgegengesehen», sagt sie. «Jetzt aber kann ich mich freuen.» Heute Abend geht sie mit ihrem Mann in die Kirche, danach machen sie es sich daheim gemütlich. Ihre zwei erwachsenen Söhne verbringen Weihnachten mit der kolumbianischen Schwiegertochter bei deren Familie. Geplant ist ein Live-Treffen via Webcam im Internet. Der Vater hat den Söhnen die frohe Botschaft zwar schon überbracht. Pia Girstl aber freut sich darauf, ihnen selbst zu sagen, wie froh sie ist, wie stolz und wie zuversichtlich.
Claudia Rieß (40) war 16, als sie bei Foto Quelle eine Lehre zur Groß- und Außenhandelskauffrau begann. Sie stieg auf, wurde Produktmanagerin und damit Zentraleinkäuferin für den Katalog für große Damengrößen. 24 Jahre hatte sie einen vermeintlich sicheren Arbeitsplatz. Doch der ist weg und mit ihm der Firmenwagen. Seit 1. November, sagt Rieß, «sitz ich in Ammerndorf, ohne Auto.» Sie habe heuer viel Zeit zum Plätzchenbacken gehabt. «Das war schön, aber irgendwann ist man damit fertig. Und sauber ist es irgendwann auch im Haus.»
Sie fühle sich «unzufrieden, irgendwie unnütz», klagt Rieß. Sie ist sicher, dass sie einen Job finden wird, befürchtet aber, dass sie dann pendeln muss, zu einem der Versandhandelshäuser in Frankfurt, Pforzheim oder Hamburg. Morgen wird Rieß ihren Onkel und dessen Lebensgefährtin treffen. Beide waren bei Quelle, beide stehen jetzt auch ohne Job da. Geschenke wird es heuer keine geben. «Na ja», meint Rieß, «eine fröhliche Weihnacht wird’s wohl nicht, eine traurige sicher auch nicht. Es wird halt um die Quelle gehen.»
Christine Lenzner (43) aus Oberasbach plagen keine Existenzängste. Ihr Mann habe einen guten Job, sagt sie, das Geld ist ohne ihren Zuverdienst knapper, doch es reicht. Der Umbruch in ihrem Leben führt der Mutter einer achtjährigen Tochter vor allem eins vor Augen: «Wie dankbar ich sein kann, dass ich so einen netten Mann und so ein nettes Kind habe.»
Paul Schubert (Name geändert) will sich Weihnachten «nicht verderben lassen», auch wenn mit seinem Job vorerst das ganze Familieneinkommen verloren ist. Mit Frau, Tochter (5) und Sohn (10) feiert der 44-Jährige, der eine Führungsposition in der Werbung hatte, Weihnachten ganz traditionell: mit Hausmusik und Christkindbesuch hinter verriegelter Wohnzimmertür. «Es mag sein, dass mich die Realität im Januar einholen wird», sagt er, «aber momentan überwiegt die Zuversicht, dass 2010 alles besser wird, meine bangen Gefühle.»