Fürther Arbeitsmarkt: Platz für "noch viel mehr Flüchtlinge"
13.03.2017, 21:00 Uhr
First, Mittelpfette und Sparren: Es sind Fachbegriffe wie diese, die selbst vielen Muttersprachlern nichts sagen, mit denen der Syrer Shadi Alshoura jeden Tag konfrontiert wird. Seit Anfang dieses Jahres arbeitet er als Bauzeichner im Planungs- und Ingenieurbüro von Walter von Wittke in der Fürther Südstadt. "Es ist ein Glück, dass wir weniger mit Sprache und mehr mit zeichnerischer Darstellung zu tun haben", sagt Architektin Gisela Motschmann, der der 44-Jährige zuarbeitet und die von ihrem neuen Kollegen voll überzeugt ist.
Zusammengebracht hat beide Seiten Gerd Hirschmann, der Firmenbetreuer für die Region Franken beim Arbeitsmarktdienstleister Donner + Partner. "Herr Alshoura hatte schon das B1-Sprachniveau, als er zu uns kam", berichtet Hirschmann. "Eine Arbeit zu finden, war noch das I-Tüpfelchen, damit er hier integriert ist." Auf das Ingenieurbüro ist Hirschmann im Telefonbuch gestoßen. Er hat einfach mal gefragt, ob es einem Flüchtling ein Praktikum ermöglichen würde. Von Wittke stimmte zu. Er kann dies Unternehmen grundsätzlich empfehlen, sofern die Firmensituation dazu passe und die restlichen Mitarbeiter mitmachen wollten – so wie sein fünfköpfiges Team.
Dutzende Erfolgsbeispiele
Alshouras Werdegang, der gerade mal eine Woche die eigentlich 90-tägige Maßnahme "Moka" von Donner + Partner besucht hat, sei mitnichten ein Einzelfall, betont Hirschmann. Er könne von Dutzenden weiteren Erfolgsbeispielen aus Franken berichten, etwa der georgischen Juristin, die jetzt als Rechtsanwaltsfachangestellte arbeite und sich so mit den deutschen Gesetzen und Fachbegriffen vertraut mache, um vielleicht eines Tages hier nochmal Jura zu studieren. Oder dem syrischen Spezialisten für Öl- und Wasserpumpen, der mit seinem handwerklichen Geschick inzwischen ein gefragter Mann bei Kärcher sei.
Gerade sucht Hirschmann unter anderem eine Arbeit und eine Wohnung für einen blinden Moka-Teilnehmer. "Das wird kein Problem sein", sagt der Firmenbetreuer selbstbewusst, der seit 2015 für den baden-württembergischen Arbeitsmarktdienstleister aus Waiblingen mit 820 Mitarbeitern tätig ist. Die Geschäftsführung lobt ihn als "Wegebner", der stets mit den Teilnehmern zu den Firmen fahre und so etwaige Berührungsängste und Vorbehalte abbaue.
Überhaupt seien es die Firmenbetreuer einerseits und die enge Zusammenarbeit mit Arbeitsagenturen, Jobcentern, Ausländerbehörden und Unternehmen, die den Erfolg von Donner + Partner maßgeblich beeinflussten, erklärt Geschäftsführer Axel Griesbaum. Hinzu käme, dass das 1982 gegründete Unternehmen schon lange vor der aktuellen Flüchtlingswelle für Menschen mit Migrationshintergrund aktiv war und beispielsweise in den 1990er Jahren viele Maßnahmen für Übersiedler aus den osteuropäischen Staaten konzipiert habe.
Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sind entscheidend
Dreh- und Angelpunkt von Moka sind zwei Praktika à zwei und vier Wochen, in denen idealerweise wie bei Alshoura der Kontakt zum künftigen Arbeitgeber hergestellt werden kann. "Wir nutzen die erste Arbeitserprobung zum Austesten von Moral, Pünktlichkeit et cetera der Teilnehmer", skizziert der Regionalleiter für Franken, Kai Uwe Heinzelmann. Denn: "Das sprachliche Defizit ist nicht so dramatisch wie die Primärtugenden Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit", erläutert Griesbaum. "Das ist das, was wir auch jeden Tag mit den Teilnehmern üben."
Dass der Wert von Pünktlichkeit gar nicht hoch genug gehängt werden kann, bestätigt Firmenbetreuer Hirschmann: "Ich habe schon Unternehmen gehabt, die ein Praktikum abgebrochen haben, weil ein Teilnehmer fünf Minuten zu spät war." Dann gelte es wieder zu vermitteln, zu erklären und "einen gewissen Grad an Redekunst" an den Tag zu legen, wie es Hirschmann formuliert. Generell erlebe er die meisten Unternehmen aber als sehr offen dafür, Menschen mit Migrationshintergrund aufzunehmen. In Moka werden sie alle zusammengewürfelt: Flüchtlinge, Migranten und EU-Bürger, Hochschulabsolventen, Handwerker und Menschen ohne Berufsabschluss.
"Wertschätzender Umgang"
Wie können bei einer solchen Heterogenität die Dozenten dem Individuum gerecht werden? Unter anderem durch Einzelgespräche, die Aufteilung in Kleingruppen und Zusatzaufgaben für die Fitteren, sagt Wiebke Höfig, die seit Januar zum achtköpfigen Team von Donner + Partner in Fürth gehört. Ganz wichtig dabei sei ein "wertschätzender Umgang" und "Hilfe zur Selbsthilfe". "Wir wollen die Menschen nicht nur kurzfristig in Arbeit vermitteln, sondern sie befähigen, sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt zurechtzufinden", sagt Höfig.
Diesen Anspruch haben sich auch die anderen sechs Arbeitsmarktdienstleister auf die Fahnen geschrieben, die derzeit nach Analyse von Donner + Partner in Fürth mit Moka vergleichbare Integrationsmaßnahmen anbieten. Einer dieser Konkurrenten sind die beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz) gemeinnützige GmbH. Sie führen seit Juli 2013 in Fürth ein breites Spektrum an Kursen für Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund im Auftrag verschiedener Kostenträger durch, also etwa für die Agentur für Arbeit Fürth. Diese hat im vergangenen Jahr 291 "Arbeits- und Vermittlungsgutscheine" (AVGs) an Menschen aus dem Raum Fürth, Erlangen, Bad Windsheim und Neustadt an der Aisch ausgegeben. Im Bereich der Jobcenter waren es weitere 570 AVGs, die für Maßnahmen wie Moka eingelöst werden können, berichtet Pressesprecher Frithjof Stöhr.
Ob diese Gutscheine an Arbeitssuchende mit deutschem oder ausländischem Pass gingen, kann Stöhr nicht sagen. Insgesamt seien 2016 aber zirka 300 Flüchtlinge mit den unterschiedlichsten Maßnahmen gefördert worden, zu denen beispielsweise auch reine Sprachkurse gehören.
Kriterium Bleiberecht
Berücksichtigt würden primär Flüchtlinge mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit. Das spiegelt sich in der Teilnehmerstruktur der zehn Integrationsmaßnahmen wieder, die das bfz vergangenes Jahr in Fürth durchgeführt hat. Neben Syrern seien vor allem Iraner, Iraker, Äthiopier und Somalier unter den 204 Teilnehmern gewesen, berichtet Amata Zahn, die stellvertretende Leiterin der bfz-Tochtergesellschaft gfi in der Uferstadt. Einzelne Maßnahmentitel will man bei den zu der Gruppe des Bildungswerkes der Bayerischen Wirtschaft (bbw) gehörenden Einrichtungen indes nicht herausgreifen.
"Die Namen sind sehr kurzweilig und immer nur ein Konstrukt", erklärt Koordinatorin Eva Bönisch. "Es geht aber immer darum, Sprache zu optimieren, sich fachlich auszuprobieren und die Teilnehmer sozialpädagogisch zu begleiten. Fachlich ausprobieren können sich die Teilnehmer in einem sechswöchigen Praktikum, das auf mehrere Betriebe aufgeteilt werden kann, sowie in den sieben bfz-eigenen Werkstätten in Fürth.
Sie decken die Bereiche Bau, Elektro, Farbe, Holz, Hotels und Gaststätten, Lager und Handel ab, schildert Zahn. Auch sie erlebt die meisten Teilnehmer wie Unternehmen als motiviert, die berufliche Integration zu meistern. Wenn diese trotzdem scheitere, liege das oft an fehlenden Sprachkenntnissen und/oder dem ungeklärten Aufenthaltsstatus, der die Teilnehmer belaste und so manchen Betrieb von einer Einstellung abhalte. Schließlich sollen sich die Investitionen am Ende ja auch für ihn auszahlen.
Ungeahnte Vielfalt
Beim bfz werden Asylbewerber, die nicht lesen und schreiben können, genauso wie Flüchtlinge mit Hochschulabschluss und bereits guten Deutschkenntnissen betreut. Allerdings hält man dort nichts davon, alle Teilnehmer in einen Topf zu werfen. Vielmehr versuche das bfz möglichst passgenaue Lösungen für bestimmte Personenkreise zu konzipieren, berichtet Zahn.
In den vergangenen Jahren sei so – unter anderem basierend auf den Ausschreibungen der Arbeitsagenturen – eine ungeahnte Vielfalt an Maßnahmen entstanden. "Das ist ein Bereich, der ständig in Veränderung ist", bilanziert Zahn. In naher Zukunft müssten zum Beispiel wohl verstärkt Maßnahmen für Asylbewerber mit Bleibestatus entwickelt werden.
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