Corona
Fürther Klinikum: Die Intensivstation ist am Limit
21.11.2021, 16:00 UhrPlastikmantel anziehen, Schutzbrille und Maske aufsetzen, dann die Plastikhandschuhe, desinfizieren – das machen Dr. Ullrich Voran (35) und Petra Stellwag (51) jeden Tag viele Male. Jedes Mal, wenn sie von einem Patienten zum anderen wechseln. Immer kostet es sie einige Minuten Zeit.
"Wir machen gerade alles in einem Tempo, das kann man sich nicht vorstellen", sagt Stellwag, die pflegerische Leiterin auf der Intensivstation im Fürther Klinikum ist. Trotzdem ist es nie schnell genug. "Wir sind am Limit – und das sind wir schon lange", sagt Stationsarzt Voran. "Wir sind müde. Wir können eigentlich nicht mehr." Die Corona-Pandemie hat ihn und alle anderen auf der Intensivstation viel Kraft gekostet.
Doch ihnen bleibt keine Wahl, sie müssen weiter um Menschenleben kämpfen. So gut es geht. Mehr als 3500 Menschen befinden sich nach Angaben des Divi-Intensivregisters bundesweit zurzeit wegen einer Covid-Erkrankung auf einer Intensivstation, etwa die Hälfte davon muss beatmet werden. Von den deutschlandweit rund 22 000 Intensivbetten sind aktuell nur noch rund 2450 frei. Besonders in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen ist die Lage angespannt. So auch im Klinikum Fürth.
Hier werden momentan 44 Covid-Patienten behandelt: 34 von ihnen auf Covid-Normalstationen, zehn von ihnen auf der Intensivstation.
Weil Personal fehlt, kann das Klinikum für die Covid-Fälle und die anderen Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, momentan nur 22 der insgesamt zur Verfügung stehenden 30 Intensivbetten nutzen – sie sind immer belegt. Die Versorgung der Corona-Kranken ist dabei aufwendiger und kostet mehr Zeit als die der übrigen Erkrankten. Sieben der zehn Corona-Kranken sind ungeimpft.
Dass Petra Stellwag und ihr Team ständig unter Hochdruck arbeiten, merkt man ihnen jedoch nicht an. Ruhig und konzentriert sind Stellwag und Voran, als sie an das Bett eines Patienten treten. Dieser ist inzwischen nicht mehr infektiös. Stellwag legt ihre Hand auf seine, spricht ihn an. Stationsarzt Voran kontrolliert währenddessen die Werte auf dem Monitor und saugt Sekret aus der Luftröhre ab.
Oft müssen sich die Pflegekräfte zwei bis drei Stunden am Stück um einen Patienten kümmern, müssen ihn umdrehen, das Bett in voller Montur durch das Krankenhaus zum Röntgenraum schieben – durchgeschwitzt bis auf die Unterhose. "Das ist maximal anstrengend", sagt Stellwag. Dabei habe man ständig das Gefühl, seinen Patientinnen und Patienten nicht gerecht werden zu können, weil man sich entscheiden müsse, zu wem man zuerst gehe. Auch den Ärztinnen und Ärzten geht es so. "Man ist unzufrieden. Man will seine Arbeit ja gut machen", sagt Voran. Aber das sei nicht einfach.
Die Corona-Infizierten seien oft übergewichtig, mit vielen Vorerkrankungen, angeschlossen an viele Maschinen, immer an der Grenze zum Tod. Von Infektionswelle zu Infektionswelle sei das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten gesunken, sagt Dr. Manfred Wagner, Medizinischer Direktor und Pandemiebeauftragter des Fürther Klinikums. Zurzeit liege dieses durchschnittlich bei 55 Jahren.
Gerade die jungen Erkrankten blieben lange auf der Intensivstation, meist 30 bis 40 Tage. Wenn dann ein Rettungswagen einen Menschen mit Herzinfarkt bringt, steht Wagner vor einer unmöglichen Situation. Natürlich nehme man den auf – obwohl man wisse, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das eigentlich nicht mehr schaffen, sagt Wagner.
"Das ist die Triage"
"Das ist die Triage, die stattfindet. Es geht zu Lasten der Mitarbeiter und zu Lasten der anderen Patienten." Patienten, die dann auf andere Stationen wechseln, in andere Krankenhäuser verlegt werden oder lange auf OP-Termine warten müssen. Für Wagner befindet sich Deutschland aktuell – wie berichtet – in der "kritischsten Phase" der Pandemie: weil die vierte Welle auf ein ausgelaugtes Gesundheitssystem trifft.
"Wir müssen immer wieder Entscheidungen treffen, bei denen wir Leute mit keinem guten Gefühl verlegen", sagt Voran. Besonders belastend finden er und Stellwag den Gedanken, dass all das mit einer höheren Impfquote vermeidbar gewesen wäre. Die Politik habe trotz der Warnungen vieler Fachleute viel zu lange abgewartet, meint Stellwag. "Das macht uns echt fassungslos – und auch so machtlos. Wir können uns nicht wegducken." Wenn dann ungeimpfte Corona-Infizierte auf die Intensivstation kämen, mache das psychisch schon etwas mit einem, sagt Voran, betont aber: "Wir behandeln alle gleich."
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