Hebammen in der Corona-Krise: Der Kontakt fehlt
19.5.2020, 10:00 UhrWarum sie sich für diesen Beruf entschieden hat, weiß die Hebamme Helga Torney-Weiß genau: "Wir dürfen nah am Menschen sein, wir sind Hüterinnen des Lebens." Die 59-Jährige hat seit ihrem Examen 1982 viele Erfahrungen gesammelt. Jetzt kommen ein paar neue dazu und die stellen Wesentliches auf den Kopf. Abstand statt Nähe, Atemmasken und schweigende Untersuchungen – die Pandemie hat zwangsläufig neue Regeln nötig gemacht.
Helga Torney-Weiß ist mit Katarina Gebhard Gründerin des Hebammenhauses, das 1990 das erste in Bayern war und 2013 aus Nürnberg in die Königswarterstraße in Fürth zog. Hier gibt es unter anderem Kurse für die Geburtsvorbereitung. Seit Mitte März ist alles anders als sonst. "Wir müssen jetzt Live-Online-Kurse machen." Statt nebeneinander in vertrauter Runde sitzen die Teilnehmerinnen inzwischen jede für sich vor dem heimischen Bildschirm. Natürlich ist das für die Frauen und für Helga Torney-Weiß eine eklatante Umstellung: "Als Kursleiterin darf ich nicht ins Monologisieren verfallen, ich muss Körperreisen oder Atemübungen nach wie vor gut anleiten und aufmerksam sein für jede persönlich."
Die Krankenkassen haben ihr Okay für diese Online-Kurse gegeben und auch rein technisch funktioniert das alles relativ gut: "Je größer der Bildschirm, desto besser", weiß die Hebamme inzwischen. Und muss lachen: "Ab und zu taucht dann etwa bei den Rückenübungen jemand unter dem Schreibtisch ab und ist nicht mehr zu sehen." Das wäre freilich das geringste Problem.
"Was ich schmerzlich vermisse, ist der direkte Kontakt." Es sei halt etwas ganz anderes, beispielsweise mit Worten zu beschreiben, wo sich das Kreuzbein befindet, anstatt einfach die Hand auf die betreffende Stelle zu legen, damit die Frau spürt, worum es gerade geht.
Mittlerweile sind einige Kinder aus den Reihen der Kursteilnehmerinnen zu Corona-Bedingungen auf die Welt gekommen. Die Erfahrungen, die Helga Torney-Weiß aus diversen Kliniken in der Region berichtet wurden, sind sehr unterschiedlich. "Von zweien habe ich gehört, dass sie mit Maske entbinden mussten. Bei anderen durften die Väter nur kurz für die Geburt dazu kommen."
Ärgerlich machen die Fachfrau Berichte von zwei Müttern, die nicht auf der Station abgeholt werden durften und sich deshalb "alleine mit Tasche und Kind im Maxi-Cosy" bis zum Ausgang abgeschleppt haben: "Da braucht sich dann niemand mehr wundern, wenn es zu einer Beckenbodensenkung käme. Schwer zu heben ist nach einer Entbindung erst einmal tabu."
Torney-Weiß erlebt, dass "viele Frauen in dieser Ausnahmesituation einfach mehr Angst haben – vor einer Ansteckung mit dem Virus, weil sie möglicherweise ohne die Unterstützung ihrer Männer die Wehen erleben müssen oder weil sie anschließend nicht besucht werden dürfen". Verändert hat sich auch die Wochenbettphase: "Erstaunlicherweise gibt es da tatsächlich einen gewissen positiven Nebeneffekt", sagt die Hebamme. Denn: "Die Mütter haben derzeit mehr Ruhe, sie stillen und erholen sich. So schöne Wochenbetten habe ich zuletzt vor 20 Jahren erlebt."
Mundschutz bei der Untersuchung
Auf die versierte Unterstützung einer Hebamme müssen die jungen Familien nach der Geburt auch jetzt nicht verzichten – allerdings gelten für Hausbesuche veränderte Bedingungen. Selbstverständlich ist Abstand ein wichtiges Gebot.
Bei der Teambesprechung im Hebammenhaus, sagt Helga Torney-Weiß, sei dafür eine gute Idee geboren worden: "Unsere Kollegin Bärbel kam darauf, dass wir darum bitten, bereits vor unserem Besuch einen Stuhl für uns zurechtzustellen." Damit sei die nötige Entfernung zwischen den Eltern und der Hebamme schon einmal definiert und bliebe in Erinnerung. Bei der Untersuchung der Mütter beziehungsweise der Babys werde natürlich stets ein Mundschutz getragen – und nicht gesprochen.
"Die Hebamme geht alleine mit dem Säugling zum Wickeltisch und alle anderen bleiben auf Distanz." Das Schweigegebot, mit dem möglicherweise virusbelastete Aerosole, die beim Reden austreten, eingedämmt werden sollen, ist hart: "In diesem Moment merkt man, wie viel man sonst zu einem Kind sagt, auch, weil die Stimme beruhigend wirkt. So wortlos fühle ich mich jetzt wie ein Pflegeroboter."
Helga Torney-Weiß ahnt: "Es wird noch eine Weile so weitergehen." Sicher ist bislang, dass die Krankenkassen bis zum 19. Juni die Kostenübernahme für die Live-Online-Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungsgymnastikkurse am Bildschirm zugesagt haben. Wie es anschließend weitergeht? "Das werden wir im Hebammenhaus neu bewerten müssen. Wenn wir beispielsweise – um für jede mehr Raum zu schaffen – nur noch die Hälfte der Frauen für die jeweiligen Kurse annehmen können, dann halbieren wir gleichzeitig natürlich unser Einkommen. Unsere Miete und andere laufende Kosten können wir freilich nicht halbieren."
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