Nach altem Vorbild: Gekleidet wie Fürther um 1800
14.7.2015, 21:00 UhrIngrid Lamatsch war ein Schulkind, acht Jahre alt, als dieser Verein entstand und schnell Teil ihres Lebens wurde: Eine der Mitbegründerinnen warb nämlich gezielt um Familien mit Kindern und hatte bei Lamatsch’ Eltern das richtige Gespür. Der Vater wurde später Vorstand, und seit 1995 steht das Mädchen von damals selbst an der Spitze des Heimat- und Volkstrachtenvereins.
Hinter der Initiative, einen solchen Verein ins Leben zu rufen, steckte 1965 — Stadeln war noch nicht eingemeindet – unter anderem der örtliche Bürgermeister Thomas Kleinlein. Unter den 42 Gründungsmitgliedern waren Franken, Sudetendeutsche und Schlesier. Vom ersten Tag an ging es daher nicht nur um fränkisches, sondern um deutsches Brauchtum in seinen verschiedenen Facetten. Man kann das an Freitagabenden beobachten, wenn die Gruppe zum Üben zusammenkommt: „Teilweise wird zwei Stunden durchgetanzt, 20 bis 28 Tänze, aus allen Gegenden Deutschlands“, sagt Lamatsch. „Gerade den Jugendlichen gefällt die Abwechslung gut.“
Apropos: Noch hat die Vorsitzende nicht die Sorgen anderer Vereine. „Wir leiden noch nicht an Überalterung“, sagt die 58-Jährige, „da bin ich stolz drauf.“ Jugendliche gehörten immer dazu, aktuell sind es sechs Paare, neben vier Erwachsenenpaaren.
Einfach sei es freilich nicht, den Nachwuchs anzulocken. „Aber wenn man den Draht mal gefunden hat und sie merken, dass hier keine Spinnweben hängen, kann man sie halten“. Und wenn man mit der Zeit geht, fügt Lamatsch hinzu. Seit längerem etwa hat der Verein eine Homepage.
Von rund 40 mittelfränkischen Trachtenvereinen, die es vor 20 Jahren gab, sei bereits die Hälfte ausgestorben. „Es überleben die, die schon immer ein bisschen weltoffener waren.“ Für die Stadelner gehöre das zum Selbstverständnis. „Man sollte die eigenen Wurzeln nicht verlieren, aber offen für andere sein“, sagt Lamatsch und erzählt von Auftritten bei deutsch-türkischen Festen oder dem Besuch in Fürths türkischer Partnerstadt Marmaris.
Dabei steht Traditionelles heute bei jungen Leuten wieder hoch im Kurs: Aber für eine Kirchweih in ein Dirndl zu schlüpfen, ist dann doch etwas anderes, als sich einem Verein anzuschließen, weiß Lamatsch und sieht die jungen Frauen in ihren Kleidern und Schürzen, die Männer in ihren Lederhosen trotzdem gerne. Selbst dann, wenn die Outfits wenig mit dem historischen Vorbild zu tun haben: „Ein Totenkopfdirndl würd’ ich nicht tragen – aber mir ist das lieber als gar keins.“ Denn darin spiegelt sich doch eine gewisse Verbundenheit zur Region, „ein Zugehörigkeitsgefühl“.
Zwiegespalten ist sie indes, wenn sie Bilder wie jüngst beim Deutschlandbesuch des US-Präsidenten sieht: Barack Obama umringt von Trachtlern. Benutzt komme man sich da manchmal vor.
Spannende Monate haben die Vereinsmitglieder gerade hinter sich: Fürs Jubiläum haben sich einige von ihnen eine „Festtagstracht“ fertigen lassen, die die bisherige „Arbeitstracht“ ergänzt. Als Vorlage diente ein Kupferstich, der eine Szene vor der Synagoge in Fürth um 1800 zeigt – ein Glücksfall, wie Lamatsch sagt. Solche Abbildungen seien schwer zu finden. Bei Trachtenforschern und Schneiderinnen, die sich auf dem Gebiet einen Namen gemacht haben, versicherte man sich, dass es sich um ein realistisches Bild handelte.
Die Festtagstracht repräsentiert den gutbürgerlichen Stil um 1800. Die Stoffe wurden sorgfältig ausgewählt, mit einfachen Mustern. Die Männer trugen damals bereits lange Hosen, einen Mantel und Zylinder. Die Frauen ein Kleid mit kleinem Po-Kissen, das den Hintern in Szene setzt, darunter ein Hemd, so Lamatsch, das man auch zum Schlafen anließ. Nicht ans historische Vorbild halten sich die Stadelner allerdings, wenn es ums Darunter geht: Die Recherchen des Vereins ergaben, dass die Damen damals keine Unterwäsche trugen.
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