Pressecamp im Schloss

30.11.2010, 09:00 Uhr
Pressecamp im Schloss

© Peter Heigl

Das Militärtribunal gegen 24 Nazi-Größen in Nürnberg ist vor 65 Jahren an der Nachbarstadt relativ spurlos vorbeigangen. Das heißt: Der Name war eigentlich immer präsent, denn zur genauen Lokalisierung wurde in internationalen Presseberichten und Dokumentationen stets das Justizgebäude „an der Fürther Straße“ genannt. Ansonsten taucht in den Berichten der Journalisten Fürth gemeinhin nicht auf. Wenn sie nicht im Saal 600 den Prozess verfolgten, streiften sie durch das ausgebombte Nürnberg und kabelten an ihre Redaktionen in New York oder London, Moskau oder Paris Eindrücke von einem (am Boden) zerstörten Land.

James Stern jedoch blieb Fürth nicht verborgen, als er 1945 im Auftrag der amerikanischen Regierung nach Deutschland kam mit dem Auftrag, den Effekt der alliierten Luftangriffe auf die Bevölkerung zu untersuchen. Stern schrieb in seinen vielbeachteten Reise-Reportagen „Die unsichtbaren Trümmer“: „Fürth ist ein Vorort von Nürnberg und bekannt für zweierlei: für die fünf Meilen lange Eisenbahnverbindung zur Stadt (...) und wegen des weitaus wichtigeren Umstands, dass es im Krieg kaum beschädigt wurde.“

In einen Fürther Gottesdienst geraten

Immerhin gehörte Stern zu den wenigen Soldaten, die damals die Stadtgrenze überschritten – wenngleich er nicht die besten Erinnerungen aus Fürth mitnahm. Er war hier an einem Sonntagmorgen in einen Gottesdienst mehr geraten als freiwillig gegangen: „Die hässliche Kirche aus roten Ziegeln war umgeben von Jeeps, Lastwagen und Hunderten von blonden deutschen Kindern...“ Stern fühlte sich unwohl in dem Gedränge, unangenehme Kindheitserlebnisse kamen dem 40-Jährigen in den Sinn, die Situation in der Kirche erlebte er als „Demütigung“: „Umgeben von einigen hundert fremden Männern in Uniform, eingeklemmt zwischen zwei baumlangen G.I.s, die nicht verstehen, warum du nicht mitbetest und singst, das Warten auf das Ende des Gottesdienstes, das Gefühl, den einzigen Freund beim Hineingehen in der Menge verloren zu haben und in dem düster stickigen Raum kein Zeichen zu sehen, wie du dem entrinnen könntest – das war erst recht schrecklich.“

Als nicht weniger unangenehm empfanden Kollegen von Stern dann im November einen ganz anderen Ort im Landkreis Fürth: das Steiner Schloss. Dort, in dem unzerstörten repräsentativen Gebäude war das Pressecamp eingerichtet worden, da es in Nürnberg selber ja nur noch wenige intakte Häuser dieser Größenordnung gab. Vielleicht glaubte man auch, den Gästen aus aller Welt angesichts ihres kaum erfreulichen Auftrags und inmitten der Ruinenlandschaft wenigstens abends und nachts eine etwas heimelige und entfernt an endgültig vergangene deutsche Romantik erinnernde Atmosphäre bieten zu müssen. Aber die Damen und Herren dankten diese Mühe nicht.

„Durch und durch hässlich“

Die amerikanische Journalistin Nora Walm schrieb vom „hässlichen Schloss des Bleistiftkönigs Faber“ und der Romancier John Dos Passos vom „unmöglichen Schloss, das die Familie Eberhard Fabers sich aus Bleistiftprofiten und Prunkerei in Stein (...) baute und das die Besatzungsmächte übernommen haben.“ Widerwillig stieg er „in dem riesigen und pompösen marmornen Treppenhaus nach oben (und) sah auf die roten Teppiche und die grellen Mosaike und die Leuchter und die Skulpturen, die aussahen, als wären sie aus Seife geschnitten.“ Die Französin Elsa Triolet fragte sich inmitten der „altertümlichen Imitation“ gar: „Wieviele Bleistifte waren nötig, um den Fabers die Möglichkeit zu geben, solch ein durch und durch hässliches Schloss zu bauen?“

Es gibt freilich eine Person, die hatte eine ganz andere Beziehung zu Fürth und spielte bei den Nürnberger Prozessen sogar noch eine Art „Hauptrolle“: Hermann Göring. Dass sich in Fürth einmal sein Lebenskreis schließen würde, wäre dem Herrn Reichsmarschall und designierten Hitler-Nachfolger zeitlebens wohl kaum in den Sinn gekommen. Aber auf Fürther Boden führte ihn vor 65 Jahren sein letzter Flug und genau dort hatte knapp ein halbes Jahrhundert zuvor auch sein schnell unrühmlich werdender Lebensweg begonnen.

Mehrmals wohnte der kleine, 1893 in Rosenheim geborene Hermann, weggegeben von seiner Mutter, bei Pflegeeltern in Fürth. Mit drei Monaten bereits kam er zu einer befreundeten Familie in der Karolinenstraße; 1900 ist er wieder hier, diesmal in der Obhut eines Lehrers aus der Hirschenstraße, und besucht als Abc-Schütze eine Privatschule, in der er auf Mitschüler trifft, deren Leben ihm später als „unwert“ erscheinen sollte: auf Fürther Juden mit Namen Heymann oder Gundelfinger oder Bendit...

Unbeliebter Göring

Von 1902 bis 1904 besucht Göring, den nochmals ein anderes Fürther Ehepaar in der Ottostraße aufgenommen hat, das humanistische Schliemann-Gymnasium – mit mäßigem Erfolg und negativ auffällig beim Umgang mit Mitmenschen schon damals. Abgemeldet wird der spätere radikale Antisemit Göring, der aufgrund eines jüdischen Patenonkels oft Ärger mit nationalistisch gesinnten Kumpeln bekam, Ende Oktober 1905.

Göring wird Fürth einmal im Rückblick eine „verjudete Stadt“ nennen, wird sie gleichwohl mehrmals noch besuchen: ohne größere Reminiszenzen an seine Kinderzeit, mehr in seiner Eigenschaft als Reichsluftfahrtminister mit Interesse an den Flugzeugwerken auf der heutigen Hardhöhe.

Am Nachmittag des 12. August 1945 landet eine DC3 auf dem Fürther Flugplatz. An Bord Göring und sechs weitere Nazis. Von seiner „alten Heimat“ bekommt der Gefangene nicht viel mit, es geht direkt mit Autos zum Gefängnis nahe der Stadtgrenze. Zwei Monate später und nach endlosen Verhandlungen vor dem Tribunal entzieht sich Göring der Verantwortung und dem Leben und schluckt Zyankali. In Fürth – oder sonstwo auf der Welt – weint ihm jetzt keiner mehr eine Träne nach. Die (Vacher) Straße zum Flugplatz hinaus, die der Magistrat in stolzem Gedenken an die Fürther Kindertage des prominenten Nazis zur Hermann-Göring-Straße gemacht hatte, wird rasch umbenannt.