Vergessene Fußball-Geschichte: Der TSV Fürth als Deutscher Meister

Alexander Pfaehler

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11.7.2020, 07:02 Uhr
Vergessene Fußball-Geschichte: Der TSV Fürth als Deutscher Meister

© Foto: Archiv/Rolf Frommhagen

Schon am Hauptbahnhof drängten sich die Menschen am Gleis. Noch größer wurde der Auflauf in der Friedrichstraße rund um die heutige Konrad-Adenauer-Anlage. Ob es wirklich 35 000 Menschen waren, die auf die Straßen strömten, um eine Fürther Fußball-Meisterschaft zu feiern, wie manche Quellen behaupten, lässt sich nicht zweifelsfrei belegen. Die Kleeblattstadt fasste in diesem Juli 1920 nur knapp 70 000 Einwohner.

Doch etliche Tausend waren es auf jeden Fall. Fußball war ein Massenphänomen geworden, die Zuschauerzahlen zwischen 1913 und 1920 hatten sich verdoppelt.

Der Jubel in Fürth galt aber nicht der bürgerlichen Spielvereinigung, die ein paar Wochen zuvor im Finale um die deutsche Meisterschaft des DFB dem 1. FC Nürnberg unterlegen war. Er galt der Heimkehr der Mannschaft des Arbeitervereins TSV 1895 Fürth, dem etwas Historisches geglückt war: der Gewinn der ersten deutschen Meisterschaft des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB).

Eine mächtige Gegenkultur

Vergessene Fußball-Geschichte: Der TSV Fürth als Deutscher Meister

© Foto: Archiv

Dieser alternative Sportverband hatte sich erst ein Jahr zuvor neu aufgestellt und einen Wettbewerb organisiert – etwas, das man ursprünglich abgelehnt hatte. Die Arbeiterbewegung wollte nicht nur politisches Sprachrohr der Werktätigen sein. Sie bildete eine mächtige Gegenkultur zur bürgerlichen Mittel- und Oberschicht in allen Bereichen der Gesellschaft – auch im Sport.

Fairness als Abgrenzungsmerkmal

Es ging dabei um viel mehr, als dass sich seit der Jahrhundertwende auch Arbeiter in Sport-Vereinen organisierten. Ihre Idee von Fußball, so beschreibt es der Autor Rolf Frommhagen in seinem Buch "Im Fußballhimmel? Blick auf eine andere Fußballwelt" (Werkstatt-Verlag), wollte sich vom bürgerlichen Sport durch Fairness und Technik abgrenzen. Fouls waren verpönt und wurden streng diszipliniert, was womöglich dazu führte, dass in den Partien des ATSB deutlich mehr Elfmeter gepfiffen wurden als in denen des DFB.

Zu Hochzeiten Anfang der Dreißiger Jahre waren im ATSB rund 1,4 Millionen Sportler, darunter über 100 000 Fußball-Spieler organisiert. 1919, als der Verband seine erste Deutsche Meisterschaft organisierte, gab es 27 000 Spieler in etwa 3000 Mannschaften. Der ATSB war dabei eher sozialdemokratisch orientiert, erst später spaltete sich die kommunistische "Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit" ab.

Gegründet von Hans Böckler

Der TSV Fürth passte perfekt in den ATSB. Zu den Gründungsmitgliedern des Arbeiter Turnvereins zählten 1895 auch der berühmte Fürther Gewerkschaftsführer Hans Böckler und der spätere SPD-Vorsitzende Hans Vogel. 1912 entstand durch die Fusion mit den Fußballvereinen FC Merkur und FC Pfeil der TSV Fürth.

Im Mai 1920 wurde der TSV zunächst in Nürnberg Süddeutscher Verbands-Meister und zog so ins Halbfinale gegen den Dresdner SV 10 ein. Gegen den späteren mehrmaligen Arbeiter-Meister waren die Fürther nur Außenseiter. Doch der TSV, übrigens angezogen in rot-schwarz mit Kleeblatt, gewann das Spiel vor 4000 Zuschauern in Dresden mit 3:2.

Das Finale gegen den Lausitzer Verein SV Süden Forst am 11. Juli fand in Leipzig statt, wo sich auch der Sitz der ATSB-Zentrale befand. Die größte Stadt Sachsens, die 1900 mit dem VfB den ersten deutschen Fußballmeister stellte und in der im selben Jahr der DFB gegründet wurde, war eines der Zentren des jungen Mannschaftssports. Ein anderes, sportliches, lag in den Zwanzigern aber: in Fürth.

Das goldene Fürther Fußball-Jahrzehnt

Die Spielvereinigung, immer noch geprägt durch die Arbeit von Meistertrainer William Townley, wirbelte durch die Wettbewerbe des DFB und wurde nach Townleys Rückkehr 1926 und 1929 noch zweimal Deutscher Meister. Die gerade erst gegründete DJK Fürth wurde 1922 Süddeutscher Meister ihres katholischen Sportverbandes.

Doch den Anfang dieses Goldenen Fürther Fußball-Jahrzehnts machte der TSV in Leipzig-Lindenau. 5000 Zuschauer waren gekommen – im DFB-Endspiel zwischen FCN und SpVgg in Frankfurt waren es 35 000 gewesen. Fürth ging in der zweiten Halbzeit innerhalb von zehn Minuten mit 3:0 in Führung. Die Torschützen sind nicht überliefert, wohl aber, dass ein Treffer durch einen Elfmeter und einer durch eine direkt verwandelte Ecke fiel. Dass die Namen der Schützen nirgendwo auftauchen, war symptomatisch. Jede Form von Personenkult war den ATSB-Funktionären suspekt. Es ging um gemeinsames, solidarisches Sport treiben und nicht um einen Wettstreit.

Wechsel zum "Klassenrivalen"

Die zwei Anschlusstreffer der Lausitzer, einer davon ebenfalls per Strafstoß, änderten nichts mehr am Gewinn der Meisterschaft. Nicht nur für den TSV, auch für die Fürther Arbeiterschaft, für die Metallschläger und Glasschleifer, war der Sieg ein Triumph. Die Bedeutung zeigt sich daran, dass die Mannschaft bei ihrer umjubelten Rückkehr auch vom linksliberalen Bürgermeister Robert Wild Glückwünsche empfing.

Der TSV konnte an die Erfolge später nicht mehr anknüpfen. Das lag wohl auch daran, dass nach dem Titelgewinn sieben Spieler zum "Klassenrivalen" überliefen: Sie wechselten zur Spielvereinigung. Damit nahmen sie – Jahrzehnte vorher – die Entwicklung des gesamten Vereins vorweg. Der TSV, der nach der Zerschlagung durch die Nationalsozialisten 1948 als Tuspo Fürth neu gegründet wurde, ging 2003 in der SpVgg Greuther Fürth auf.

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