Grafenrheinfeld-Rückbau: Kernkraftwerk wird zerlegt
1.2.2020, 06:00 UhrEin ohrenbetäubendes Alarmsignal schrillt durch die Gänge des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld bei Schweinfurt. Gleich dreimal hintereinander erklingt eine durchdringende Sirenen-Orgie. Doch das Dosimeter in der Tasche des Schutzmantels schlägt zum Glück nicht an. Und auch die Arbeiter bleiben entspannt. Donnerstag um 10 Uhr ist immer Probealarm.
Seit 1679 Tagen wird nun schon kein Strom mehr produziert in dem Reaktorgebäude am Main, seitdem entweicht auch kein Dampf mehr aus den beiden 143 Meter hohen Kühltürmen. Doch noch ist sehr viel radioaktives Material vor Ort. Schließlich läuft der Rückbau erst seit dem 11. April 2018. Bis alles nukleare Material aus den Gebäuden entfernt ist, wird es Ende 2033 werden. Sogar erst Ende 2035 soll dann auch der konventionelle Abriss beendet sein.
179 Brennelemente im Abklingbecken
Noch sind 179 Brennelemente im Abklingbecken. Mitte Februar bis Mitte Mai sollen sie in zehn Castoren verladen und ins benachbarte Zwischenlager gebracht werden, wo dann 54 Castoren lagern. Bis auch noch zwölf einzelne Brennstäbe aus dem Becken entfernt werden können, wird es Ende des Jahres werden.
Dann ist das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld brennstofffrei. "Das ist ein ganz großer Meilenstein für uns", betont Kraftwerksleiter Bernd Kaiser. Denn dann kann der Rückbau im richtig großen Stil beginnen.
Bisher wurden 5136 von 20.519 Komponenten stillgesetzt, in diesem Jahr sind 3396 weitere geplant. Demontiert wurden aber erst 528 von 31.500 Tonnen, auch in diesem Jahr kommen nur 474 hinzu. "Ab 2023 werden wir mindestens 2000 Tonnen im Jahr haben", meint Steffen Pretscher, Leiter des Programm Management Office im Kraftwerk.
Kernkraftwerk Grafenrheinfeld: Rückbau dauert Jahrzehnte
Ende 2020 soll zudem die 101 Meter lange, 28 Meter breite und 17 Meter hohe Bereitstellungshalle auf dem Gelände fertig sein. Dort sollen schwach und mittelradioaktive Materialien aus dem Kraftwerk gelagert werden. 30 Tonnen radioaktiver Abfall warten schon in der Anlage, später sollen ein bis zwei Container am Tag in die neue Halle rollen.
Neue Ausgänge werden gebohrt
In den kommenden Jahren, nach der Brennstofffreiheit, sollen weitere Ausgänge in die Stahlhülle des Reaktorgebäudes gebohrt werden. Bis es so weit ist, müssen alle im Kontrollbereich demontierten Teile durch die nur knapp über einen Meter breite Personenschleuse hinausbugsiert werden.
Deshalb wird im Kontrollbereich alles fein säuberlich zerlegt und in Kisten verpackt. In diesem Jahr zum Beispiel sollen acht Druckspeicher abgebaut werden, riesige Edelstahlbehälter, die im Fall von Kühlmittelverlust eingesprungen wären. 14 Meter hoch und 22 Tonnen schwer sind die Behälter – und auch sie werden mit einer Seilsäge so zerlegt, dass sie durch die Personenschleuse passen.
Gerade wird die Schraubenspannvorrichtung des Deckels des Reaktordruckbehälters demontiert. 2,60 Meter lange Schrauben werden dafür zerlegt. Überall im Kontrollbereich stehen aufeinandergestapelte graue Kisten mit zerlegten Teilen. "Vorsicht! Kontamination", steht auf gelben Warnaufklebern, die genauen Radioaktivitätswerte des Inhalts verdeutlichen die potenzielle Gefahr. "Nur mit Maske öffnen", prangt auf manchen der mit roten Planen verdeckten Kisten.
Farbkleckse auf den Bauteilen
Überall im Kontrollbereich sind magentafarbene und blaue Farbklecks auf Rohren und Bauteilen zu sehen. "Magenta bedeutet, dass die Teile stillgesetzt wurden. Dafür müssen echte Trennstellen geschaffen werden, damit die Teile nicht mehr ans System angeschlossen sind", erklärt Kraftwerksleiter Bernd Kaiser. Die blauen Kleckse zeigen den Fremdfirmen an, dass sie die Bauteile entfernen können.
Der Rückbau erfolgt von Innen nach Außen. Wenn das Kraftwerk Ende des Jahres brennstofffrei sind, können zunächst die Einbauten des Reaktordruckbehälters und dann, wohl im Jahr 2023, auch der Reaktor selbst entfernt werden.
Wenn Komponenten ausgebaut wurden, wird im Reststoffbehandlungszentrum anschließend dafür gesorgt, dass sie dekontaminiert werden können. "30 Kilometer Rohrleitungen müssen dort aufgetrennt werden, damit man auch an die Innenseiten kommt", verdeutlicht Pretscher.
Zwei Männer in weißen Schutzanzügen zerlegen daneben Teile der Isolierung, die heiße Bauteile ummantelt hat. "Da haben wir jetzt schon 130 Tonnen demontiert. Und so eine Isolierung wiegt ja fast nichts. Da kann man sich vorstellen, welche Mengen das sind", sagt Pretscher.
Bis zu 500 Bar Druck
Unter anderem mit Dampfstrahlern, hinter denen 250 bis 500 Bar Druck stecken, werden kontaminierte Teile gesäubert. Wenn dann zunächst die Oberfläche und in einem zweiten Schritt auch noch die gesamte Masse freigemessen wurde, also keine Radioaktivität mehr festgestellt werden konnte, kann das Teil das Kraftwerk verlassen. 288 Tonnen sind bislang diesen Weg gegangen, in diesem Jahr sollen 299 weitere Tonnen hinzukommen.
Und auch über 90 Kilo Journalistenmasse wurden nach dem Rundgang wieder in die Freiheit entlassen. Zwei Schleusen öffnen sich zum Glück jeweils mit den beruhigenden Worten der freundlichen Computerstimme:"Vielen Dank! Nicht kontaminiert."
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