Die Premiere des "Seenländer"

4.5.2019, 06:25 Uhr
Die Premiere des

© Bastian Mühling

Samstagmorgen, kurz vor 7 Uhr. 30 Läufer stellen sich zum Gruppenfoto auf. Klick, klick, klick. Ein Läufer sagt: "Geh mer nochmal essen." Alle lachen. Schon bald werden sie sich nach Essen sehnen. "Die Dramen werden sich morgen früh abspielen", prophezeit Organisator Michael Snehotta. 146 Kilometer wollen diese 30 Menschen laufen. Nicht jeder wird es schaffen.

Die ersten Kilometer laufen die Trailrunner in einer kalten Morgenluft, es riecht nach Holz und Moos. Am ersten Verpflegungspunkt sind alle gut drauf. Noch. Als der Pleinfelder Michael Harrer und Fabian Breitsamer, Vizeweltmeister im 24 Stunden Trailrunning und Deutscher Meister im Trailrunning, nach 51 Minuten schon 10,5 Kilometer auf der Uhr haben, sagt Snehotta: "Die haben doch einen Klatscher."

Ist es verrückt oder bewundernswert, 146 Kilometer am Stück zu laufen? Frage an Michael Harrer, der seinen zweiten Ultra-Trail läuft. "Klar, eigentlich braucht das kein Mensch. Aber man macht es ja für sich und will an seine Grenzen gehen." Der 37-jährige Pleinfelder stellt die Gegenfrage: "Warum brauchen andere fünf Porsche?"

Harrer hat 2013 seine Triathlon-Karriere beendet. Er war unter anderem sieben Mal beim Challenge in Roth dabei. 2015 nahm er am Zugspitz Ultra Trail teil, weil er sehen wollte, was es bedeutet, in den Bergen zu laufen. "Nach Weihnachten habe ich in der Zeitung gelesen, dass beim Seenländer keiner aus der Region dabei ist. Ich finde aber, dass man so etwas unterstützen muss." Gerade weil das Rennen in der Region stattfindet und nicht im "Hotspot Roth".

"Was ich bei den Ultra-Trails gelernt habe: Das sind Leute wie du und ich. Es ist eine tolle Stimmung unter den Läufern. Das kenne ich vom Marathon so nicht. Da wird mehr taktiert", meint Harrer, der mittlerweile in Erlangen wohnt.

Wie bei einem Waldspaziergang

Zurück zu Checkpoint eins: Zwei Läufer unterhalten sich angeregt. Als würden sie einen Waldspaziergang machen und keine 146 Kilometer laufen. Auch das Führungsduo Harrer und Breitsamer unterhält sich 91 Kilometer lang. "Wir hatten sehr viel Spaß", sagte Harrer später.

"Ab Kilometer 100 trennt sich die Spreu vom Weizen. Aber das ist genau die Hausnummer, die ich will. Normal kann jeder", sagt Michael Snehotta. "Ich war sieben Jahre Profi auf Ultralangstrecken und habe fünf Kontinente und 32 Länder belaufen." "Abenteuersportler" tauft er seine Spezies von Läufern. "Es gibt keinen ersten Platz bei uns." Es geht darum, irgendwie durchzukommen. "Wer sich das antut, ist schon von vornherein ein Gewinner", meint er. "Die Chancen zu finishen liegen bei 50:50." Am Ende packen zwölf der 30 Läufer die 146 Kilometer nicht.

Vor zehn Jahren scheiterte auch Snehotta. Er organisierte den Seenplattenultra – wenn man so will, einen Vorläufer des Seenländers. Teilnehmerzahl: Drei. Es ist der Moment, in dem er ein wenig kleinlaut wird. Stattdessen erklärt er: "Ich war viel zu tief in meinem eigenen Laufen und hatte zu wenig Zeit, um so etwas zu organisieren." Heute, im Jahr 2019, helfe ihm als Organisator auch die bessere Vernetzung über Facebook und Instagram.

In den nächsten Jahren will Snehotta den Lauf als ausverkauftes Event etablieren. Der Lauf 2020 stehe schon. "Wir wollen nur 80 Starter zulassen", sagt er. Aber bekommt er die überhaupt zusammen? "Ja." Er habe schon jetzt einige Anmeldungen für den 25. April. Auf jeden Fall soll das Event exklusiv bleiben, keine Massenveranstaltung werden. "Erstens, weil man für eine Massenveranstaltung Straßen sperren müsste. Und zweitens, weil nicht jeder Läufer für solche Distanzen geeignet ist", erklärt Snehotta. 149 Euro kostet der Seenländer. "Man rechnet normal einen Euro pro Kilometer", erklärt Snehotta. Für das Geld bekommt man ein Finisher-Shirt, einen Siegerpokal und eine Nudelparty.

Die Strecke geht über die drei Seen Brombachsee, Rothsee und Altmühlsee. Und über Oberbreitenlohe. Zwei Läufer aus der Schweiz strandeten dort bei Kilometer 80 und mussten aufgeben. Mit zitternder Stimme riefen sie Snehotta an. "Hol uns hier raus", sagten sie. Snehotta konnte erst in 30 Minuten kommen. Nach einiger Zeit riefen sie noch einmal an und gaben durch, dass sie aufgenommen wurden. Zunächst, als sie in das Haus eintraten, erklärte das Ehepaar: "Wir kaufen nichts." Doch als die Schweizer erklärten, was sie hinter sich haben, kochte das Ehepaar einen warmen Tee.

"Das ist bis nach Heilbronn"

Am ersten Checkpoint sagte Uwe Jahn noch lächelnd: "Mal schauen, ob ich später auch noch so ausschaue." Am nächsten Morgen humpelt er in die Hotel-Lobby. Und ist damit nicht der einzige. In der Lobby ist der Seenländer Gesprächsthema Nummer eins. "146 Kilometer sind die gelaufen", sagt eine Urlauberin vor sich hin. "146 Kilometer", wiederholt sie. "Das ist bis nach Heilbronn."

Michael Snehotta hat sich um 6.30 Uhr für zwei Stunden auf eine Massage-Liege zum Schlafen gelegt. "Im Großen und Ganzen bin ich mit der Premiere zufrieden." Aber: "Es gibt auch etwas zu verbessern." Hauptproblem: Streckenausschilderung. "Es haben sich einige verlaufen, teilweise bis zu zehn Kilometern." Da gab es schon einmal einen Spruch in Richtung: "Für nächstes Jahr musst du nochmal nachlegen." Snehotta erklärt selbstkritisch: "Ich kenne die Strecke in- und auswendig und hatte nicht im Blick, was es braucht, wenn man sie nicht kennt."

Als Sieger kam Lokalmatador Michael Harrer um 23:15 Uhr mit einer Zeit von 16:15 Stunden ins Ziel. An der Ortskenntnis lag es nicht, versichert er. Die habe ihm auch nichts gebracht. Am Ende hatte er 149 Kilometer auf seiner Uhr. Sein ärgster Konkurrent war Fabian Breitsamer, der sich bei der Siegerehrung als fairer Sportsmann zeigte: "Klar, teilweise war es schlecht ausgeschildert, aber als erfahrener Läufer schaut man sich vorher die Strecke an. Ich finde es falsch, da dem Michi den Schuh anzuziehen. Mach weiter so, Michi."

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