Herriedener Familie wohnt im Gefängnis
15.10.2011, 07:00 Uhr„Die Kinderzimmer befinden sich im ehemaligen Zellentrakt“, sagt Vater Stefan Ubl (54) gelassen zu Gästen, die er durch das frühere Amtsgerichtsgefängnis führt und deutet auf den Schließgang der Gefangenen — heute ist dies der Flur zu den Privaträumen der Familie. Die Kinder, Cornelius und Linus (16 und 18), schlafen in den Zellen 5 und 8, die Eltern in Nummer9. Früher müssen die Arrestzellen dunkle, enge Kammern gewesen sein. Heute ist in die vier Wände Licht und Leichtigkeit eingezogen. Ein gewaltiger Wandel.
Doch die Mauern zu den Zimmer sind dick geblieben. „Manchmal weiß man gar nicht, ob jemand zu Hause ist“, lässt Martina Ubl (55) vergnügt einfließen. Selbst, wenn ihr Mann auf seinem Flügel im „Alten Verlies“ spielt, schlucken die dicken Gewölbedecken die meisten Geräusche. Zum Essen läutet Mutter Ubl deshalb auch gern die Glocke im Treppenhaus. Bei 330Quadratmetern Wohnfläche zum Verirren, treppauf, treppab, ist das Läuten zumindest bis in den letzten Winkel des Hauses zu hören.
47 Sprossenfenster zu putzen
Skurril und spannend fühlt sich das Dasein in der Veste an: Eine Familie wohnt in einem ehemaligen Gefängnis. Und genießt dabei mit jedem Atemzug die Vorzüge, die ihr das Stadtleben bietet. Von der Fronveste mit mittelalterlichem Wehrturm haben die vier Ubls einen gigantischen Rundblick auf das Geschehen in den Gassen. Dafür müssen sie aber auch 47 Sprossenfenster putzen und regelmäßig die Holzläden denkmalgerecht streichen. „Zwei Sommerferien sind dafür draufgegangen“, sagt Vater Ubl seufzend.
Nicht lange her, da hieß es in dem Städtchen noch: „Bring dies oder jenes ins Gefängnis.“ Die wenigsten konnten sich vorstellen, dass Familie Ubl mit Hilfe von Handwerkern aus dem dunklen, muffigen Gebäude ein freundliches Anwesen macht, das sogar einen Denkmalschutz-Preis verdiente. Freigelegte Fachwerkwände, wieder entdeckte, zugemauerte Schießscharten, geschliffene Fichten-Dielen, die gut ein Jahrhundert alt sind, oder eine Rumpelkammer, die sich als „Verlies“ entpuppte — all das und mehr macht den Charme des Altbaus aus. Genauso wie die 50 Quadratmeter große Sonnenterrasse, die auf dem ehemaligen Gefängnishof trohnt.
Ein Blick auf die alten Grundrisse und Dokumente aus den letzten Jahrhunderten, die Stefan Ubl in mühseliger Forschungsarbeit dokumentiert hat, lässt die Geschichte des Gebäudes wieder lebendig werden. Erst stand an der Stelle des Hauses nur ein runder Wehrturm. Im Barock kam ein rechteckiges Wohngebäude mit Pferdestall hinzu, vermutlich eine fürstbischöfliche Residenz. Ab 1803 wird die Geschichte geradezu kriminell: Zwölf Frauen und Männer, manchmal mehr, saßen in dem Landgerichtsgefängnis bis 1901 ein. Danach wohnten und arbeiteten Polizisten hier.
Tage im Knast gezählt
Ein besonderes Zeugnis aus der Gefängnis-Zeit: Häftling Franz Anton Hertlein zählte die Tage, bis er wieder an die frische Luft kam, indem er in ein Fußbodenbrett seiner Zelle Striche ritzte. Heute weiß die Nachwelt: 18 Tage lang saß er in dem Landgerichtsgefängnis, dann war er wieder ein freier Mann. Ganz im Gegenteil zu Familie Ubl wohnte der Verbrecher vermutlich nicht gerade gerne hier.
„Ein anderes Haus will ich nicht mehr“, sagt Vater Stefan Ubl überzeugt. „So ein Umbau ist eines der letzten großen Abenteuer, die man macht“, meint auch Martina Ubl. Nach einem bewegten Leben, davon vier Jahre in Griechenland, fanden der Gymnasiallehrer aus Oberfranken und die Juristin aus Unterfranken sozusagen in der Mitte ihr zu Hause.
2003 kauften sie das heruntergekommene Dreifamilienhaus, das keiner haben wollte. „Es war Liebe auf den zweiten Blick“, gesteht Martina Ubl. Liebe, die Arbeit machte: Tapeten abkratzen, Fliesen abklopfen, Schuttberge hinausräumen. Doch dabei sicherten die Ubls manches Kuriosum: In der Küche bewahrten sie zum Beispiel Fliesen aus der Zeit, als hier der Wachtmeister sein Klo hatte.
„So ein Haus steckt voller Geheimnisse“, sagt Martina Ubl fasziniert. Geheimnisse, die ihren Mann antreiben: Er will unbedingt noch einen Backofen aus Gefängnis-Zeiten, den er hinter dicken Mauern vermutet, finden. Und endlich die Pistolen aus Kriegszeiten entdecken, die irgendwo im Haus versteckt sein sollen.
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