Spannende Geschichte
Niederndorfer Chor feiert 125. Geburtstag
1.4.2020, 06:57 UhrRossinis "Petite Messe Solennelle" mit vier Solisten, Ulrike Heubeck am Harmonium und Chorleiter Thomas Leyer am Flügel wollte "Cantus Vox", so der heutige Name des Chors, verstärkt durch den Kosbacher Stadl-Chor aufführen. Doch nun, so der Vorsitzende Peter Lautenbach, hemmt das Coronavirus die Vorbereitungen, alles ist ungewiss. Lautenbach hofft, dass das Festprogramm, das im Oktober fortgesetzt werden soll, doch noch durchgezogen werden kann.
Mit Ungewissheiten und Fährnissen sind die Niederndorfer Sänger in ihrer ganzen Vereinsgeschichte immer wieder konfrontiert worden. Immerhin haben ihre Gründerväter mit der Sozialdemokratie geliebäugelt, und die war im Kaiserreich von 1876 bis 1890 verboten.
Viele Niederndorfer pendelten damals als Maurer nach Nürnberg, Fürth und Erlangen, wo sie mit dem Gedankengut der Sozialdemokratie in Berührung kamen. Sie gründeten den "Rot-Kreuz-Bauernverein", eine Tarnorganisation der verbotenen SPD. Der Verein war nicht nur eine politische Organisation, es wurde auch die Kultur gepflegt.
Bei der Gründung 1895 stand dem Niederndorfer Gesangverein bezeichnenderweise der Herzogenauracher Gesangverein "Vorwärts" Pate. Auf die 19 Niederndorfer Gründer kamen hohe Kosten zu, als sie sich im damaligen Gasthaus Johann Fink, viele Jahre Proben-Lokal, zusammentaten. Für den Dirigenten, den Herzogenauracher Oberlehrer Mayer, wurde eine Violine angeschafft, die der Chor heute noch besitzt, dazu die nötigen Liederbücher. Der Gründungsvorsitzende wurde das älteste Mitglied, der Maler Johann Geinzer.
Zum zehnjährigen Gründungstag wurde 1905 das erste Vereinsbild enthüllt. 40 Sänger zählte der Verein damals, der neben dem Gesang auch das Theaterspiel pflegte. Die Theatergruppe Niederndorf ist also auch aus dieser Bewegung hervorgegangen.
1907 kam das Ende des "Rot-Kreuz-Bauernvereins". Er löste sich auf und schenkte den Sängern seine Vereinsfahne. Der Chor trat in diesem Jahr dem Deutschen Arbeitersängerbund bei und nannte sich Arbeitergesangverein "Arion" Niederndorf-Hauptendorf. Man trat bei Waldfesten auf und besuchte auch Sängerfeste – in Nürnberg und sogar in München.
Im Ersten Weltkrieg wurden alle Aktivitäten eingestellt. Ein Drittel der Sänger kehrte nicht mehr aus dem Krieg zurück.
Nach der Wiederaufnahme der Probenarbeit ging es bald wieder bergauf. 1922 bestand der Verein aus 40 Sängern. Freilich kam die Inflation und stellte auch "Arion" vor große Probleme. Mit Geld, das rapide an Wert verlor, konnte man den Dirigenten Heinrich Koch nicht bezahlen. Sein Entgelt wurde mit Butter, Eiern, Gemüse, Fleisch und Kartoffeln entrichtet.
1929 war ein einschneidendes Jahr in der Vereins- und der Lokalgeschichte. Der Arbeitergesangverein, der 1906 gegründete Radsportverein "Solidarität" (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen in Herzogenaurach) und der Turnverein, gegründet 1912, taten sich zum "Arbeiter-Sportkartell Niederndorf" zusammen und kauften das Sportgelände am Stockberg. Hierin liegt auch begründet, warum der Chor "Cantus Vox" bis heute eine Abteilung des ASV Niederndorf, also eines Sportvereins, ist. Das "Kartell" hielt nur fünf Jahre. 1933 wurde der Arbeitergesangverein nach Hitlers Machtergreifung verboten, das Sportgelände beschlagnahmt.
Die sozialdemokratische Tradition war abgewürgt, nicht aber der Gesang. 1934 wurde der "neue Gesangverein Niederndorf" gegründet, der auch in die Aurach-Sängergruppe aufgenommen wurde.
Unter Auflagen der NSDAP nahm man 1935 unter dem Vorstand Thomas Fink und dessen Bruder Hans als Chorleiter die Proben wieder auf. Es verschwand das alte sozialdemokratische Arbeiterliedgut und der Name "Arbeitergesangverein" wurde auf der Fahne durch "Gesangverein Niederndorf" ersetzt.
Überhaupt, die Fahne. 1937 wurde auch sie beschlagnahmt. Sie sollte vernichtet werden und wurde auf einem Baiersdorfer Bauernhof zwischengelagert. Dessen Besitzer versteckte sie auf dem Dachboden. Schwer beschädigt hat sie so überlebt.
Von den 100 Mitgliedern, die der Gesangverein 1939 hatte, kamen 19 aus dem im gleichen Jahr beginnenden Zweiten Weltkrieg nicht zurück.
Dem Krieg verdankt der Verein eine einschneidende Neuerung. Weil immer mehr Sänger an die Front mussten, gründete Hans Fink den gemischten Chor, der "Cantus Vox" heute noch ist. Fink stiftet auch dessen erstes Lied für Männer- und Frauenstimmen: "Mein Dörflein" von Arthur Schmid, fortan fester Bestandteil des Repertoires. Als Fink 1942 einberufen wurde – er kam zwei Jahre später in Norwegen um – kam der Probenbetrieb zum Erliegen.
Der Neubeginn kam 1946. Der gemischte Chor rief zusammen mit der neu gebildeten Fußballabteilung den ASV Niederndorf ins Leben und firmierte fortan als "Sängerabteilung das ASV Niederndorf". Das war nicht unumstritten: Nur 60 Prozent der Sänger stimmte dem zu, einige verließen den Verein.
1947 begann der Probenbetrieb wieder. Und die Sängerabteilung wartete mit einer aufsehenerregenden Personalie auf: Die 17-jährige Betty Fink, Tochter des früheren Leiters, übernahm als erste Frau in weitem Umkreis die Chorleitung. Bis 2001, mehr als ein halbes Jahrhundert lang, hatte die spätere Betty Studtrucker sie inne.
Sie brachte nicht nur den Chor voran, der mit ihr sein 100-jähriges Bestehen feierte und dazu die Zelter-Plakette verliehen bekam. Sie muss in der Anfangs- und Aufbruchszeit in der Tat für Aufsehen gesorgt haben. In der Chronik ist überliefert, dass 1949 die Konkurrenz den Sieg des ASV-Chors beim Gruppenwettbewerb anfocht. Begründung: Die Jury habe mehr auf die attraktive Dirigentin geachtet als auf die falschen Töne des Chors. Die Anfechtung kam nicht durch.
Es ging beständig voran in der Nachkriegszeit. Der Chor, der anfangs turnusmäßig in den vier Niederndorfer Gasthäusern zum Wirtshaussingen auftrat, später auch die Aufführungen seiner Theaterspieler begleitete, blieb auch nach der Eingemeindung Niederndorfs nach Herzogenaurach fester Bestandteil des Kulturlebens in der Stadt. 1998 wurde er überregional bekannt, als er bei der Rundfunksendung "Radiogrüße aus Herzogenaurach" mitwirkte.
2001 übernahm der Gruppen-Chorleiter der Aurach-Sängerguppe, Manfred Meier aus Heßdorf, die Leitung von Betty Studtrucker. Der Chor führte Stimmbildungsseminare ein, bewältigte bald große Werke und machte auch überregional von sich reden.
2017 gab Meier die Leitung ab und wurde, wie schon Betty Studtrucker vor ihm, Ehrenchorleiter. Seitdem hat Thomas Leyer die musikalische Leitung, ein professioneller Pianist und Dirigent aus Nürnberg.
Info: Der Chor "Cantus Vox" im ASV Niederndorf bringt zum Jubiläum auch eine Festschrift heraus. Darin enthalten die vom zweiten Vorsitzenden Reiner Brecht zusammengestellte Chronik, auf der dieser Text fußt. Das Festkonzert ist derzeit für den 18. Juli geplant. Festgottesdienst und Festkommers sollen am 25. Oktober stattfinden, an den Wochenenden 20., 21. und 22. sowie 27., 28., 29. November Theateraufführungen im langjährigen Vereinslokal Favorit, früher Winkelmann, und eine interne Gründungsfeier am 17. Dezember.
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