Zeitsprung im Kostüm
27.07.2012, 16:09 Uhr
Sie werden Teil des Mittelalterpersonals sein, das im Kampfmontur mit Helm, mit Barett, in langem Gewand, mit Speeren oder Äxten die über 1000-jährige Aurachstadt für ein Wochenende auf eine Zeitreise schicken.
Das Freie Banner von Uraha, die Zwölf, die Schotten, Freudlos oder Corso communitas ist die Gruppen-Szene, in der sich die „Fränkischen Kämpfer“ bewegen – eine Art große Familie, in der man sich gegenseitig hilft und bei Klaus Zenger in Vach miteinander trainiert.
Im ganz normalen Leben arbeiten die beiden fränkischen Kämpfer bei Schaeffler. Unter Arbeitskollegen infizierte das Burgfräulein alias Industriemeisterin im Schlosserhandwerk den Neuling mit dem „realitätsnahen Theaterspiel ohne Choreografie aus dem Stegreif“, wie die beiden ihre Passion beschreiben.
Seine neue Identität als Waffenträger mit blankem Schwert (doch nicht scharfem) siedelte er Ende des 15. Jahrhunderts an, in den blaugelben Wappenfarben mit der Weinrebe als Reminiszenz an Jena.
Sie sind Teil einer große Mittelalter-Welle, die sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren formierte und sich von den Urformen wie dem Kaltenegger Ritterturnier inzwischen auf zahlreiche Burgen in der Fränkischen Schweiz ausgebreitet hat, in Kleinstädte und auf Mittelaltermärkte.
Olaf Jentsch, Jahrgang 1964, „typisches DDR-Kind“ wie er sich nennt, ursprünglich aus Jena, erklärt sich die Faszination fürs Mittelalter und die in den neuen Bundesländern gegründeten Eventagenturen mit einer geschickten Geschäftsidee. Auf die seien in den Nach-Wiedervereinigungsjahren viele aufgesprungen, weil es sich als lukrativ erwies.
Ein Teil der mittelalterlichen Begeisterung der Akteure beruht nicht nur auf der körperlichen Ertüchtigung, die das Kampftraining mit sich bringt. Viel Freizeit wird in die Mittelalter-Geschichte investiert. Die Kleidung wird teils selbst geschneidert, teils im Internet bestellt: „Alles auf Maß, alles Sonderanfertigungen“, berichtet die Nürnbergerin Barbara Niebler.
Rüstungen, Kettenhemden, Plattenschulter, Helme mit Geflecht sowie die Waffen werden Originalen nachempfunden. Stets wird verfeinert, repariert, neu gemacht. Bereits der ganze Flur im Elternhaus des Burgfräuleins ist mit Speeren, Lanzen, Schwerten bestückt. Falls ein neues Teil gebraucht wird, so wendet man sich an Waffenschmiedin Ute Henig aus Forchheim,.
Auf der Veste Otzberg im Odenwald, in Neumarkt/Oberpfalz, auf Märkten in Rabenstein und Waisenfeld, wo die beiden fränkischen Kämpfer auftraten, holt man sich auch neue Ideen. Beim Ferienprogramm des Spielmobils bauten die Kämpfer bereits ihr Zeltlager voriges Jahr auf, zeigten Kindergartenkindern wie man einen Helm aufsetzt.
Für das Herzogenauracher Mittelalterfest am Samstag, 28. Juli ab 11 Uhr und den ganzen Sonntag wird der halbe Hausstand in den Schlossgraben gekarrt. Mittelalter-affines Personal – wie Olafs Ehefrau Larissa, die aus Kasachstan kommt – übernahm voriges Jahr kostümiert auch die Aufsicht über die Kulissen, deren Wert sich so nach und nach zum Gegenwert eines schönen Kleinwagens summierte, wie Barbara Niebler zusammenrechnet.
Denn das Burgfräulein, das bisweilen auch in Kampfmontur schlüpft, mit Helm, eisernen Handschuhen, Stiefeln und Banner in der Rechten, geruht in einem Himmelbett zu nächtigen. Ansonsten sind die beiden auch unter — www.fränkische-kämpfer.de — zu besuchen und für Neuankömmlinge dankbar, die dem nüchternen (!) Schaukampf etwas abgewinnen können. Voraussetzung ist allerdings: „Jeder muss mal sterben“.
Zuvor muss man sich jedoch im Klaren sein, das gefährliche Mittelalter-Leben ist mit einer Haftpflicht-Versicherung abzusichern und der – gegebenenfalls — privaten Krankenversicherung mitzuteilen.
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