Jerusalema-Challenge: Nach dem Tanz wird kassiert

Rurik Schnackig

Lokalex

E-Mail zur Autorenseite

17.2.2021, 18:10 Uhr
Jerusalema-Challenge: Nach dem Tanz wird kassiert

© Standfest/privat

"Das kann ja wohl nicht sein", schimpft eine Mutter. "Mein Sohn war so begeistert, dass in dieser schwierigen Zeit endlich mal wieder was anderes geboten ist - er ist richtig aufgeblüht." Er habe tagelang den Jerusalema-Tanz nach dem Lied von Master KG an Hand von Anleitungen aus dem Internet geübt, bis die Schritte endlich saßen und in der Schule der Drehtag anstand. Alles regelkonform. Die Akteure hielten den angemessenen Abstand ein, gefilmt wurde im Freien. Und um ganz sicher zu gehen wurde sogar nochmal geprüft, dass die Eltern der jungen Tänzer mit einer Veröffentlichung des Videos einverstanden sind. Dass da noch ein Nachspiel in Form von zum Teil saftigen Geldforderungen folgen wird, daran dachte bei dieser Teilnahme an einem weltweiten Trend niemand.

Kein Schnäppchen

Wie hoch die Forderungen sind, entscheidet der Lizenzinhaber Warner Music je nach Organisation und Zugriffszahlen des Videos im Internet. "Wir bieten unterschiedliche Preiskategorien an", teilt Warner dazu selbst mit - und es klingt nach einem tollen Angebot. Offiziell spricht man nicht über die Höhe der Zahlungen, aber wie es heißt, verlangt das Label bis zu 4000 Euro für die Nutzung des Liedes in einem eigenen Video. "Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass unsere Künstler eine faire Vergütung für die Nutzung ihrer Musik erhalten", teilte ein Sprecher mit.

"Moralisch grenzwertig"

Jerusalema-Challenge: Nach dem Tanz wird kassiert

© Ucar/privat

In Nürnberg haben sich viele Menschen von dem eingängigen Rhythmus mitreißen lassen. Darunter auch die Erler-Klinik, die 310 Klinik, mehrere Schulen, Tanzschulen und Sportvereine. "Juristisch mag das einwandfrei sein, moralisch finde ich die Vorgehensweise von Warner-Music grenzwertig", sagt eine Kliniksprecherin. Viele ärgern sich, wollen aber offiziell nichts sagen. Verständlicherweise. Denn Sinn und Zweck der ganzen Aktion war es, etwas Licht in eine wenig helle Zeit zu bringen und mal für ein paar Minuten abzulenken. Zum allerwenigsten waren Teilnehmer und Initiatoren auf negative Schlagzeilen aus. Außerdem will - anders als zuvor - jetzt niemand mehr auf sich aufmerksam machen. Konsequenterweise spuckt Youtube mittlerweile nur noch einen Bruchteil der vorherigen Treffer aus. Die meisten haben ihre Videos entfernt.

"Bedauerlich", so beurteilt auch der Nürnberger Rechtsanwalt Thomas Ritter, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, die Herangehensweise von Warner Music gerade gegenüber Angehörigen der helfenden Berufe. Dass Plattenfirmen versuchen, Einnahmen nachzufordern, sei durchaus üblich. Doch oft wenden sie sich dabei direkt an die jeweilige Plattform - in diesem Fall Youtube- so dass die Akteure nicht extra belangt werden müssen.

Es gibt eine Ausnahme

Gibt es für die teilnehmenden Firmen, Vereine und Organisationen rechtlich eine Chance die Forderung abzuwehren? Thomas Ritter macht wenig Hoffnung: "Grundsätzlich wäre hier die Zustimmung des Urhebers erforderlich gewesen." Eine Ausnahme gibt es. Ritter: "Wenn es sich bei dem konkreten Tanz um eine Parodie handelt, liegt keine Urheberrrechtsverletzung vor." Doch eine sichtbar überzogene Umsetzung des Tanzes ist kaum irgendwo zu erkennen, ging es ja gerade darum, mit anderen auf der ganzen Welt die gleichen Schritte zu machen.

Wer eine Unterlassungserklärung unterzeichnet, sollte laut Ritter unbedingt darauf achten, dass sein Video nicht noch irgendwo verfügbar ist. "Sonst riskiert er eine Vertragsstrafe." Auch wenn die Mutter des eingangs erwähnten tanzbegeisterten Schülers nicht selbst zur Kasse gebeten wird, sondern die veranstaltende Schule, sieht sie in dem Verhalten des Musik-Labels eine "Riesensauerei". Sie wünscht sich, dass an einem Gedanken festgehalten wird: "Das Lied und der Tanz sollen Mut machen - und den sollte sich auch niemand nehmen lassen."

Keine Kommentare