Protokoll

Messerstiche und drei Tote: Der Ablauf des Würzburger Amoklaufs

Julia Ruhnau

nordbayern.de

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26.6.2021, 21:03 Uhr
Die Würzburger Innenstadt nach der Tat: Die Gegend um den Barbarossaplatz ist abgeriegelt, überall sind Einsatzkräfte zu sehen. Kurz zuvor wurden hier drei Menschen getötet.

© Karl-Josef Hildenbrand, dpa Die Würzburger Innenstadt nach der Tat: Die Gegend um den Barbarossaplatz ist abgeriegelt, überall sind Einsatzkräfte zu sehen. Kurz zuvor wurden hier drei Menschen getötet.

Die Würzburger Innenstadt, ein warmer Freitagnachmittag, zahlreiche Menschen bummeln durch die Straßen und Gassen der Altstadt, gehen einkaufen, treffen Freunde, trinken Kaffee. Innerhalb weniger Minuten kippt die Szenerie. Ein mit einem Messer Bewaffneter tritt aus einem Kaufhaus in der Nähe des Barbarossaplatzes auf die Straße und sticht wahllos alle Menschen nieder, die ihm im Weg sind. Am Ende gibt es drei Tote und sieben Verletzte, auch der Täter wird verletzt. Der Ablauf des Würzburger Amoklaufs im Protokoll.

Freitag, 25.06.2021

17 Uhr: In den Minuten vor der Tat betritt der Mann, der kurz darauf drei Menschen töten wird, ein Woolworth-Kaufhaus in der Kaiserstraße. Er begibt sich dort in die Haushaltswarenabteilung und spricht eine Frau an - sie soll ihn zu den Messern führen. Die Kundin wird das erste Opfer des Täters.

Der Tatort in Würzburg.

Der Tatort in Würzburg. © dpa

17 Uhr + x:* Der Amoklauf beginnt. Der junge Mann greift sich ein Messer mit einer mindestens 20 Zentimeter langen Klinge aus der Auslage und sticht unvermittelt auf die Frau ein, an die er sich zuvor gewandt hatte. Die Verletzungen, die er ihr zufügt, sind so schwer, dass sie kurz darauf stirbt. Die Frau bleibt nicht das einzige Opfer. Im Inneren des Ladens greift der Täter zwei weitere Frauen an, auch sie werden tödlich verletzt. Sie werden 24, 49 und 82 Jahre alt.


+++ Der Live-Ticker zum Einsatz in Würzburg zum Nachlesen +++


17.04 Uhr: Noch während der Täter die ersten Menschen niedersticht, gehen bei der Polizei Notrufe über einen Messerangriff ein. Die erste Streife macht sich auf den Weg in die Kaiserstraße. Zu diesem Zeitpunkt hat der Angreifer den Woolworth bereits verlassen. Er läuft die Kaiserstraße entlang bis zum Barbarossaplatz. Auf dem Weg verletzt er fünf weitere Menschen schwer, teilweise lebensgefährlich, unter ihnen ein elfjähriges Mädchen, ein 16-Jähriger Jugendlicher und drei Frauen im Alter von 39, 52 und 73 Jahren. Eine 26-jährige Frau und ein 57-jähriger Mann werden leicht verletzt.

17.05 Uhr: In der Nähe einer Sparkassenfiliale in der Oberthürstraße ändert sich die Dynamik der Angriffe. Mehrere Passanten stellen sich dem Messerstecher in den Weg, versuchen ihn aufzuhalten und drängen ihn schließlich mithilfe improvisierter Waffen wie Stühlen, Besen oder vorgehaltener Rucksäcke in die Oberthürstraße ab - weg vom Barbarossaplatz, wo sich zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Menschen aufhalten.

17.06: Unmittelbar nachdem der erste Notruf eingegangen ist, kommt die erste Streife am Barbarossaplatz an. Passanten winken die Polizisten in die Straße neben der Sparkasse, in die der Täter abgedrängt wurde. Der Angreifer kommt mit erhobenem Messer auf die Beamten zu - sie feuern einen Schuss ab. Die Kugel trifft den Bewaffneten am Bein, sie geht einmal glatt durch den Oberschenkel. Die Polizisten überwältigen den Mann daraufhin und nehmen ihn in Gewahrsam.

"Aktuell größerer Polizeieinsatz in Würzburg"

17.21 Uhr: Die Polizei postet auf Twitter erste Informationen zum Einsatz in der Innenstadt. "Aktuell größerer Polizeieinsatz in Würzburg. Teile um den Barbarossaplatz sind gesperrt. Bitte diesen Bereich meiden", heißt es in der Mitteilung. Wenige Minuten später werden die Medien über den Einsatz informiert, es ist von mehreren Verletzten die Rede, für die Bevölkerung bestehe keine Gefahr mehr. Der Täter ist zu diesem Zeitpunkt bereits gefasst.

18.35 Uhr: Die Polizei bestätigt auf Twitter, dass ein Täter festgenommen wurde. Es gebe keine Hinweise auf einen zweiten Angreifer. Anlaufstellen für Medienvertreter, Zeugen und Angehörige werden eingerichtet. In den sozialen Medien verbreiten sich Videos von den Angriffen, auf ihnen ist zu sehen, wie sich Passanten dem Angreifer in den Weg stellen, wie die Polizei ihn schließlich überwältigt.

140 Rettungskräfte im Einsatz

19 Uhr: Inzwischen ist klar, dass mehrere Menschen die Angriffe nicht überlebt haben. In der Innenstadt sind insgesamt etwa 140 Rettungskräfte im Einsatz, um die Verletzten zu versorgen, die Gegend rund um den Barbarossaplatz ist abgesperrt. Der mutmaßliche Täter wird währenddessen wegen seiner Schussverletzung im Krankenhaus versorgt.

20 Uhr: Innenminister Joachim Herrmann fährt nach Würzburg, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Kurz darauf verkündet er vor Pressevertretern, dass drei Menschen bei den Attacken ums Leben gekommen seien. Zusätzlich gebe es fünf Schwer- und Schwerstverletzte. Der Angreifer sei ein 24-Jähriger aus Somalia, der in Würzburg lebe.

Joachim Hermann (CSU), Innenminister von Bayern, spricht wenige Stunden nach der Tat in der Innenstadt zu Journalisten.

Joachim Hermann (CSU), Innenminister von Bayern, spricht wenige Stunden nach der Tat in der Innenstadt zu Journalisten. © Daniel Karmann, dpa

21.24 Uhr: Die Polizei hat ein Upload-Portal eingerichtet, in dem Zeugen Bild- und Videomaterial hochladen können. Zuvor hatten sich Szenen der Bluttat unkontrolliert in den sozialen Netzwerken verbreitet. Zum Täter werden inzwischen neue Informationen bekannt. Er habe in Würzburg in einem Obdachlosenheim gewohnt und lebe seit 2015 in Deutschland. In der Vergangenheit sei er bereits durch gewalttätiges Verhalten aufgefallen und mehrfach in psychiatrischer Behandlung gewesen.

22 Uhr: Zum Motiv des Täters gibt es noch keine klaren Hinweise, aber erste Anhaltspunkte. Zeugen berichten, dass er mehrmals "Allahu Akbar" gerufen haben soll (in etwa "Gott ist groß"). Ein islamistischer Hintergrund wird überprüft. In der Zwischenzeit haben sich zahlreiche Menschen öffentlich zu der Gewalttat geäußert und Opfern und Angehörigen ihr Beileid ausgesprochen. Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt spricht von einem "grauenhaften Verbrechen", einer Katastrophe, die die Stadtgesellschaft extrem treffe. Ministerpräsident Markus Söder dankte auf Twitter der Polizei und den Rettungskräften sowie den Bürgern, die sich dem "mutmaßlichen Angreifer entschlossen entgegenstellten". Auch der Würzburger Bischof Franz Jung zeigte sich erschüttert, er nannte den Angriff eine "abscheuliche Gewalttat". Der Fußball-Drittligist der Stadt, die Würzburger Kickers, schrieben auf Twitter: "Würzburg ist kein Ort der Gewalt. (...) Unsere Gedanken sind bei den unschuldigen Opfern, den Familien und den Angehörigen."

0.17 Uhr: Die Polizei beendet die Einsatzbegleitung, neue Informationen gibt es erst am nächsten Tag. Für Zeugenhinweise wurde ein Bürgertelefon eingerichtet.

Samstag, 26.06.2021

10.12 Uhr: Bisher ist wenig Neues über die Tat bekannt. Die Polizeipräsenz in der Würzburger Innenstadt ist weiterhin hoch, die Tatorte sind teilweise abgesperrt. Bürger haben Blumen an den Stellen abgelegt, an denen am Abend zuvor mindestens acht Menschen niedergestochen worden waren. Für 15 Uhr ist eine Pressekonferenz angekündigt.


Die Pressekonferenz im Live-Ticker zum Nachlesen


11.05 Uhr: Inzwischen ist öffentlich die Rede von einem "Amoklauf". Ministerpräsident Markus Söder benennt die Tat vor der CSU-Delegiertenversammlung in Nürnberg auf diese Weise. Wenig später spricht Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter vom "Amokläufer".

11.24 Uhr: Der Zustand zweier Verletzter ist weiterhin kritisch. Allerdings gibt es auch gute Nachrichten: Zwei Menschen, die bei dem Angriff verletzt wurden, konnten das Krankenhaus bereits wieder verlassen.

15 Uhr: Auf einer Pressekonferenz werden nach und nach Details zur Tat, den Opfern und dem mutmaßlichen Täter bekannt. Der 24-Jährige sei 2015 nach Deutschland gekommen und habe sich dann zunächst längere Zeit in Chemnitz aufgehalten. Seit dem 4. September 2019 lebe er in Würzburg. Im Rahmen eines Asylverfahrens wurde ihm subsidiärer Schutz zuerkannt, er hält sich also legal in der Bundesrepublik auf. Seit einiger Zeit ist er in einer Obdachlosenunterkunft gemeldet - dort soll er im Januar 2021 bereits auffällig geworden sein. Bei einer Auseinandersetzung mit Mitbewohnern und Verwaltern sei er ausfällig geworden und habe zu einem Küchenmesser gegriffen. Verletzt wurde niemand.

Die daraufhin eingeleiteten Ermittlungen wegen Bedrohung und Beleidigung laufen bis heute. Auch ein psychiatrisches Gutachten wurde angeordnet. Nach dem Vorfall wurde der Somalier zeitweise in der Psychiatrie untergebracht. Im Juni wurde er erneut auffällig. Er stellte sich in Würzburg auf eine Straße, blockierte den Verkehr und stieg zu einem anhaltenden Autofahrer in den Wagen - er solle ihn zu einer bestimmten Adresse fahren. Die eintreffenden Polizisten brachten den 24-Jährigen erneut in die Psychiatrie. Er wurde nach einem Tag entlassen. Die Ärzte hatten kein akutes Selbst- oder Fremdgefährdungspotential festgestellt.

*Die im Artikel genannten Zeitangaben sind aus verschiedenen Quellen abgeleitet. Die Polizei gibt den Zeitpunkt der ersten Notrufe mit 17.04 Uhr an. Zudem habe der Täter um fast exakt 17 Uhr den ersten Tatort betreten - zwei Minuten nach dem ersten Notruf sei die erste Streife vor Ort gewesen. Die restlichen Zeitangaben leiten sich aus Mitteilungen der Polizei (per Twitter oder Pressemitteilung) und Aussagen von Politikern oder Ermittlern ab.


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