Nach Gutachten
Mitten in Nürnberg: "Einer der größten Immobilienskandale"
29.7.2021, 09:38 UhrFür den FDP-Politiker Sebastian Körber aus Forchheim ist die Sache klar. "Was zuerst noch ein über die Jahre beunruhigender Verdacht war", sagt der Landtagsabgeordnete, "haben die beiden Gutachten bestätigt." Es geht um die Zweigstelle des Deutschen Museums in Nürnberg, um den Mietvertrag, den der Freistaat unter dem damaligen Finanzminister Markus Söder mit Gerd Schmelzer geschlossen hat. Und vielleicht um einen der "größten Immobilienskandale in der Geschichte des Freistaates Bayern", wie Körber andeutet.
Seine grüne Landtagskollegin Verena Osgyan geht zwar nicht ganz so weit. Doch auch sie ist alarmiert. Die beiden Gutachten, die Grüne, SPD und FDP in Auftrag gegeben hatten, "gehen deutlich weiter als erwartet", sagt die Nürnbergerin. Sie sieht "einen handfesten politischen Skandal, in dessen Zentrum der heutige Ministerpräsident Söder steht." Entweder, sagt sie, hätten die beteiligten Behörden "fachlich grob falsch agiert. Oder das Ergebnis sollte so ausfallen, dass es passt." Osgyan spricht davon, dass es "entweder ein Geschäft unter guten Freunden" gewesen sei. "Oder der Staat hat sich massiv über den Tisch ziehen lassen."
Eine unter vielen
Das Geschäft: Mitte des vergangenen Jahrzehnts entstand die Idee, das Deutsche Museum solle eine Dependance in Nürnberg errichten. Mit beteiligt: Markus Söder, CSU-Politiker und bayerischer Finanzminister. Seine Behörden sichteten verschiedene Immobilien. Am Ende erhielt Gerd Schmelzer den Zuschlag für seinen Augustinerhof.
Für Schmelzer ein lukrativer Deal. Der Staat als Mieter ist immer solvent, das Ausfallrisiko minimal. Dazu eine Jahresmiete von 2,52 Millionen Euro für angesetzte 5500 Quadratmeter plus Nebenkosten, die ein Gutachter auf wenigstens rund 360 000 Euro taxiert, alles abgesichert für mindestens 25 Jahre - es geht schlechter.
Alles geprüft?
Wie gut das Geschäft für Schmelzer tatsächlich ist, darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen. Die beteiligten Ministerien und Ämter wiegeln ab. Alles sei mehrfach geprüft und bewege sich im Bereich des Üblichen. Nichts sei da anrüchig oder gar verwerflich. Die Opposition hatte daran von Anfang an ihre Zweifel. Insbesondere die Miete von gut 46 Euro pro Quadratmeter hat sie hellhörig gemacht.
Und nicht nur sie. Zwei Gutachter haben die Mietverträge analysiert, der eine juristisch, der andere als Immobiliensachverständiger. Beide halten das Vertragswerk zumindest für ungewöhnlich und unüblich. Ihr Fazit lässt sich auf den Punkt bringen: viel zu teuer, undurchsichtige Kalkulationen, alles zugunsten des Vermieters, nicht in einem Punkt zugunsten des Freistaates.
Objektiv unangemessen
Der Vertrag, so das juristische Gutachten, enthalte "Regelungen, die eher unüblich und für einen Mieter objektiv unangemessen sind". Dass etwa der Mieter "umfassend die Instandhaltungs- und Instandsetzungslast" trage. Oder dass bei einem Besitzerwechsel der Mietvertrag einseitig durch den neuen Besitzer gekündigt werden könne. Normal schließen Verträge das aus.
Beide Gutachter bemängeln, dass der Freistaat für jeden Quadratmeter im Museum zahlt, egal, wie er genutzt wird. Und das in der vollen Höhe. Selbst, wenn es sich um Treppen handelt, um Technik- oder Büroräume oder um Lager. Laut dem Immobiliensachverständigen werden normalerweise die Preise gestaffelt, zusätzlich auch noch nach Geschoss. Die höchsten Mieten erzielen Verkaufsflächen im Erdgeschoss, die niedrigsten alle anderen in den oberen Etagen. Im Gutachten sind sie aufgeschlüsselt, orientiert an der Lage des Augustinerhofs. Demnach wären für das Erdgeschoss im Augustinerhof 35 Euro angemessen, für den ersten Stock 20 Euro und für die Etagen darüber etwa 15. Tatsächlich stehen für alle Ebenen und jeden Quadratmeter 46,73 Euro im Mietvertrag.
Laut Gutachten wären also 1,09 Millionen Euro angemessen, für 4494 und nicht die angesetzten 5509 Quadratmeter. Die Differenz von 1,43 Millionen sei "eine erklärungsbedürftige Deckungslücke". Die Erklärung fehlt bislang, warum die Miete mehr als doppelt so hoch wie üblich ausfällt. Auch dieser Gutachter kann nicht nachvollziehen, weshalb der Freistaat sämtliche Kosten übernimmt, die dem Vermieter entstehen könnten. Warum er damit also das Risiko vollständig auf sich genommen hat.
Nicht verhandelt?
Beide Gutachter fragen zudem, wieso das Land nicht besser verhandelt habe. Das Deutsche Museum sei ein so genanntes Ankerobjekt, das sich positiv auf die anderen Teile des Augustinerhofes auswirke. Damit hätte der Freistaat ihrer Ansicht nach arbeiten und verhandeln müssen, ebenso damit, dass der Vertrag über 25 Jahre läuft und eine Verlängerung wahrscheinlich ist. Das ist nach Ansicht der Sachverständigen unterblieben.
Für den Immobiliensachverständigen ähnelt der Vertrag "dem Modell eines Neubauleasing-Vertrags". Allerdings mit dem gewichtigen Unterschied, "dass nicht der Mieter Eigentümer wird", wohl aber so zahlt. Immer wieder hatte die Opposition gefragt, warum der Freistaat für diesen Preis nicht selbst gebaut habe. Eine klare Antwort fehlt auch hier.
Der Befund der beiden Gutachter ist eindeutig: Der Freistaat ist der Verlierer bei diesem Mietvertrag, Gerd Schmelzer der Gewinner. Der darf das Gebäude jederzeit verkaufen, auch das steht im Vertrag. Ein Vorkaufsrecht für den Staat findet sich dort laut Gutachten nicht. Aktuell könnte Schmelzer demnach zwischen 70 und 85 Millionen Euro erlösen. Sein finanzieller Einsatz dürfte weit darunter liegen, offiziell hat er ihn allerdings nie genannt.
Zwei Spenden
Dass später zwei Spenden über insgesamt fast 90 000 Euro an die Nürnberger CSU geflossen sind, passt für die Oppositionsfraktionen bestens ins Bild. FDP-Mann Sebastian Körber deutet das vorerst nur an. "Offen bleibt", sagt er, "welchen Einfluss ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse im Dunstkreis der Zweigstelle des Deutschen Museums gehabt haben". Eine versteckte Anspielung auf das enge Verhältnis zwischen CSU-Chef Markus Söder, Gerd Schmelzer und dessen Frau Julia Lehner.
Die Opposition will die Gutachten nun dem Bayerischen Obersten Rechnungshof zur Verfügung stellen, der die Vorgänge rund um die Zweigstelle gerade prüft. Und sie verlangt, dass Ministerpräsident Markus Söder sich binnen zwei Wochen erklärt. Tut er das nicht, behält sie sich weitere Schritte vor.
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