11. April 1945: Elf Minuten fielen die Bomben auf Neumarkt

11.4.2015, 13:52 Uhr
11. April 1945: Elf Minuten fielen die Bomben auf Neumarkt

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Nach dem ersten Luftangriff auf Neumarkt am 23. Februar 1945 hat ein amerikanischer Luftaufklärer, der am 13. März 1945 um 16 Uhr über Neumarkt kreiste, festgestellt: „Mäßige Schäden auf dem Gelände des Rangierbahnhofs. Gleise sind an 14 Stellen unterbrochen. Etwa 27 Waggons sind entgleist oder zerstört. Reparaturarbeiten scheinen aber Fortschritte zu machen. Im Bahnhofsgelände sind mehrere Bombentrichter aufgefüllt, und alle Hauptstrecken sind wieder befahrbar.“

Daraufhin wird Neumarkt, schreibt Rainer Krüninger, damals stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, in seinen Berichten über diese Tage, aus denen wir hier auszugsweise zitieren, erneut als Ziel für einen weiteren Luftangriff in die Planung der 8. US-Luftflotte aufgenommen. Bereits am 7. April beschießen Jagdbomber die Pfleidererwerke, die zerstörten Expreßwerke, aber auch Fahrzeuge und Pferdefuhrwerke in der Amberger Straße mit Bordwaffen.

Am 11. April 1945 hatte der deutsche Rundfunk schon vor 10 Uhr von Westen und Süden her einfliegende Bomberverbände gemeldet. Gegen 11 Uhr heulten auch in Neumarkt die Sirenen. Die Menschen, die am Stadtrand wohnen, nehmen ihr Notgepäck in die Hand und eilen in die angrenzenden Wälder. Andere vertrauen ihren tiefen Kellern unter den Häusern, wo sie sich längst wohnlich eingerichtet haben. Viele Neumarkter sind bereits nach dem ersten schrecklichen Bombenangriff aufs Land gezogen zu Verwandten oder Bekannten.

Die Straßen sind nach dem Vollalarm rasch fast menschenleer. So sehen nur noch ein paar ganz neugierige Buben und offiziell eingeteilte Luftbeobachter die US-Bomber, die diesmal in südöstliche Richtung fliegen. Die Ziele liegen offensichtlich im Regensburger Raum oder noch weiter südlich.

11. April 1945: Elf Minuten fielen die Bomben auf Neumarkt

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Die ängstliche Spannung in Neumarkt löst sich langsam, als die Luftlagemeldung schon von ersten Rückflügen berichtet. Viele Neumarkter kommen aus ihren Kellern, trauen sich vor die Haustüre. Da dröhnen plötzlich aus südöstlicher Richtung Flugzeugmotoren, schreibt Rainer Krüninger. Über dem Wolfstein und dem Mariahilfberg taucht eine große Formation schwerer Bomber mit Begleitjägern auf. Die vorausfliegenden „Pfadfinder“ lassen Rauchbomben fallen und markieren das Zielgebiet. Allerdings: Die Rauchbomben werden zu früh gesetzt, nicht der Bahnhof, wie geplant, wird markiert, sondern die Altstadt.

Um 13.52 Uhr öffnen sich die Bombenschächte der 71 „Fliegenden Festungen“, wie die schweren US­Bomber heißen. Die meisten der 351 Bomben landen im Wohngebiet. Aus den Klappen der Flugzeugschächte heulen doppelt so schwere Kaliber wie beim ersten Angriff in die Tiefe.

Elf Minuten lang hagelt es 500-Kilo-Bomben. Die Erde zittert, das infernalische Heulen der herabsausenden Sprengkörper vermischt sich mit dem ohrentäubenden Krachen der Detonationen. Die Häuser wackeln. Die Erschütterungen bringen selbst die Glocken im Turm der Johanneskirche zum Schwingen. In die fürchterlichen Explosionen hinein tönt plötzlich Glockengeläute.

Getroffen werden Gebäude am Oberen und Unteren Markt, in der Spital- und Botengasse, Bräu- und Kastengasse, in der Klostergasse und in der Ingolstädter Straße. Nur 17 Bomben landen im eigentlichen Zielgebiet am Bahnhof. Auch diesmal gibt es in Neumarkt keine Abwehr. Deutsche Flugzeuge tauchen während des Angriffes nicht auf. Flugabwehrgeschütze sind nicht vorhanden.

Als die US-Bomber um 14.03 Uhr ihre Schächte schließen und in Richtung Nordwesten abdrehen, liegen in den Trümmern der Altstadt an die 100 Tote, darunter mindestens 60 Neumarkter Männer, Frauen und Kinder.

Im Keller des von einem Volltreffer zermalmten Geschäftshauses Hiereth gibt es 15 Leichen, darunter fünf kleine Buben und Mädchen. Drei davon sind die Kinder der Familie Geitner. Die Mutter überlebt, weil sie kurz vor dem Angriff mit dem Rad nach Langenthal gefahren ist, um für ihren neunjährigen Sohn Herbert einen Kommunionanzug zu holen.

Sechs Menschen tot

Sechs Menschen finden im Hause Schambeck in der Spitalgasse den Tod. Einen Volltreffer bekommt auch das Waisenhaus in der Bräugasse ab, in dem vor allem Evakuierte und Flüchtlinge aus dem Westen und aus Schlesien untergebracht sind. Drei Kinder mit 13, zehn und sechs Jahren aus Gießen und eine schlesische Mutter mit ihrem fünfjährigen Sohn werden unter den Trümmern begraben.

Rund 40 Bomben pflügen Wald und Felder zwischen Höhenberg und St. Josef um. Das dort untergebrachte Lazarett wird nur knapp verfehlt.

Zwei Soldaten am Bahnhof wollen trotz aller Warnungen nicht in den Keller des Bahnhofsgebäudes. Sie lachen: „An der Front haben wir ganz andere Sachen erlebt. Da werden wir uns vor ein paar Fliegern nicht fürchten.“ Nach dem Angriff liegen die Landser tot auf dem Bahngelände.

Als die Sirenen Entwarnung heulen, kriechen die verstörten Neumarkter aus ihren Kellern. Ihnen bietet sich ein Bild der Verwüstung: Eine Rauch und Staubwolke liegt über der Stadt. Die Giebel von Geschäftshäusern liegen auf den Straßen, Wohnhäuser sind eingestürzt, bei vielen Gebäuden die Dächer abgedeckt. Die meisten Fenster haben keine Scheiben mehr. Türen hängen aus den Angeln.

Feuerwehr und Hilfsdienste kommen an manchen Stellen nicht mehr durch. Balken, Steine, zertrümmertes Mobiliar türmen sich zu Barrieren. In einigen Häusern sind Menschen in den Kellern eingeschlossen. Dumpfe Hilferufe sind zu hören. Verschüttete werden ausgegraben, Verletzte geborgen und ins Krankenhaus oder in eines der Lazarette gebracht.

Für viele Neumarkter ist dieser zweite Bombenangriff aber das Fanal für eine Flucht aus der Stadt. Die meisten Einwohner packen in den nächsten Tagen die notwendigste Habe, bringen Möbel, Wertgegenstände und entbehrliche Kleidung in die vermeintlich sicheren Keller und ziehen mit Leiter- und Handwagen oder mit dem Fahrrad hochbepackt hinaus aufs Land.

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