Ein Besuch in der eigenen Familiengeschichte

26.05.2011, 00:00 Uhr
Ein Besuch in der eigenen Familiengeschichte

© Kayser

Es war ein Buch, das Goldsmith diese Woche nach Sulzbürg gebracht hat. Der 83-Jährige ist emeritierter Professor für Biochemie in Ottawa. Seine Tochter, die in London lebt, machte ihn auf ein Buch über den Sulzbürger Jüdischen Friedhof aufmerksam: „Hier ist verborgen“ mit Texten der Sulzbürgerin Heide Inhetveen und mit Fotos von Edgar Pielmeier.

Das Buch findet Goldsmith „wunderbar“, er schreibt eine Mail an Heide Inhetveen, eine Korrespondenz entwickelt sich. Inhetveen lädt den Kanadier ein, und als der nun zur Silberhochzeit seiner Tochter nach London fliegt, hängt er noch ein paar Tage im Landkreis Neumarkt an.

In Sulzbürg führt der Friedhofs-Kenner und Historiker Andreas Angerstorfer den Gast von Grabstein zu Grabstein, entziffert noch einmal die hebräischen Inschriften, die oft Aufschluss über die Lebensweise und die Umstände des Todes geben. Der Vater der Express-Gründer, Simon Goldschmidt, hatte 14 Kinder, weiß Harry Goldsmith, vier davon starben noch als Kinder. Ein weiterer Sohn wurde im Bett, vermutlich von einem diebischen Diener, ermordet.

Seine eigene Lebensgeschichte begann in Nürnberg am 11. Mai 1928. Harry Goldsmith hieß damals Heinz Goldschmidt, sein Vater Ludwig leitete mit seinem Bruder Siegbert eine Ofenbau-Fabrik. Das Haus von Harrys Familie stand in der Tiergartenstraße, auch die heißt heute anders: Parsifalstraße. Das Haus wurde im Krieg zerstört.

Harry erinnert sich noch gut an die Pogromnacht im November 1938, die er mit zehn Jahren miterlebte: SA-Männer klingelten mitten in der Nacht an der Türe, der Hausmeister musste sie einlassen. Die Eltern wachten dadurch auf, dass die Braunhemden im Büro einen schweren Schrank verrückten und alles kaputtschlugen.

Auch nach oben in das Zimmer, in dem er selber mit seinen beiden Brüdern schlief, kamen die SA-Männer; „sie hatten keine Pistolen, sie hatten Messer, die Braunhemden schlitzten unsere Plumeaus auf, überall flogen die Federn herum“. Einen Ring seiner Mutter nahmen sie mit und zerschnitten die Porträts der Großeltern. Als Ludwig Goldschmidt die Polizei alarmierte, „wurde er gefragt, ob er jüdisch ist. Als er ja sagte, hieß es: Da können wir leider nicht kommen“, sagt Harry Goldsmith in seinem leicht amerikanisch gefärbten Deutsch.

„Mein Vater war geschockt, aber meine Mutter war stark“, weiß er noch. Später klingelten SS-Leute, und die Mutter ging zur Haustür. „Sie fragten nach meinem Vater, aber meine Mutter sagte: Den habt ihr schon geholt.“ Die SS-Männer spuckten ihr ins Gesicht und gingen wieder.

Die Familie floh nach München, wurde erst von Bekannten und dann von Verwandten versteckt. Kurz kehrten sie zurück nach Nürnberg, die Kinder wurden im Dezember 1938 nach London geschickt; die Eltern folgten im März 1939.

Es ist nicht sein erster Besuch in der Oberpfalz, sagt Harry Goldsmith. Zur großen Ausstellung über die Expresswerke im Jahr 1998 war er mit seinem Bruder bereits in Neumarkt und auch in Sulzbürg auf den Spuren seiner Familiengeschichte unterwegs gewesen. Die Familie Goldschmidt hatte in Sulzbürg gelebt und eine Eisenwarenhandlung betrieben. Sie zogen als Herdbauer nach Neumarkt, eine Herd- und Ofenfabrik wurde dann in Nürnberg gegründet.

Auch an die Geschichte der Fahrradwerke erinnert sich Harry Goldsmith: Sein Urgroßonkel war in England gewesen und hatte dort Hochräder gesehen, so genannte „Penny Farthings“ mit kleinem Hinter- und großem Vorderrad, wie die größere Penny- und die kleinere Viertelpenny-Münze. „Es wäre doch toll, wenn solche Fahrräder auch hier in Deutschland gebaut werden könnten“, habe dieser Onkel angeregt.

Nach dem Besuch auf dem Friedhof steht noch der Eintrag ins Goldene Buch der Gemeinde Mühlhausen auf dem Programm, abends ein Zeitzeugengespräch in Sulzbürg (Bericht dazu folgt).