Neumarkter Kassenärzte drohen mit Streik

04.09.2012, 11:00 Uhr
Neumarkter Kassenärzte drohen mit Streik

© dpa

Bei den rund 120 niedergelassenen Medizinern im Ärztenetz Neumarkt gibt es nun die erklärte Absicht, es auf einen „flächendeckenden Streik“ auch im Neumarkter Raum ankommen zu lassen, wie Vorstandsmitglied Dr. Christian Nunhofer auf Anfrage der Neumarkter Nachrichten gestern erklärte. Es werde für die Dauer der Verhandlungen zu Praxisschließungen kommen, kündigte das Ärztenetzwerk an. „Es ist sehr bedauerlich, dass es an den Patienten ausgeht, aber wir haben keine andere Möglichkeit“, sagte Nunhofer. Betroffenen Kranken rät er, sich im Streikfall im Krankenhaus behandeln zu lassen.

Das Klinikum Neumarkt hat es noch nicht für notwendig erachtet, für den Fall von Praxisschließungen einen Notfallplan aufzustellen. Beispielsweise eine Urlaubssperre gebe es nicht, so Klinikvorstand Peter Weymayr. Das Krankenhaus werde adhoc reagieren und bei Bedarf schnell zusätzliche Ärzte zum Dienst einteilen. Weymayr: „Wir rechnen nicht mit dem schlimmsten Fall.“

„Wir werden zusperren“

Beispielsweise hat die Allgemeinmedizinerin Dr. Beate Lill aus Berg die Absicht, sich an der Praxisschließungsaktion zu beteiligen: „Wenn die Kassen weniger bezahlen, dann werden wir zusperren.“ Der hausärztliche Internist Dr. Joachim Feldner in Deining ist zwar angesichts der schwebenden Verhandlungen noch unentschlossen, aber letztlich werde er sich bei Streikmaßnahmen „solidarisch mit den Kollegen verhalten“.

Ende vergangener Woche hatte ein Schlichtergremium ein Plus bei den „Zuweisungen“ an die Ärzte in Höhe von 0,9 Prozent oder 270 Millionen Euro entschieden. Der Neumarkter Ärztenetz-Sprecher Nunhofer betonte, dass sich dies nicht auf das Einkommen, sondern nur auf den Praxisumsatz beziehe. Davon seien die stark gestiegenen Kosten für Miete, Personal, Geräte und Kredite abzuziehen. Allein die Löhne der Arzthelferinnen seien kürzlich um drei Prozent gestiegen.

Ein Umsatzzuwachs von deutlich über zehn Prozent sei deshalb das Minimum. „Wir subventionieren seit Jahren das Kassengeschäft mit den Einnahmen durch die Privatpatienten“, klagte Nunhofer. Die Mediziner befänden sich ständig in der „Ethikfalle“, Kassenpatienten doch noch zu behandeln, obwohl sie nur noch zehn Prozent des Regelsatzes erstattet bekommen würden. Dies sei dann der Fall, wenn ein niedergelassener Arzt die von der Kassenärztlichen Vereinigung genau vorgeschriebene Umsatz- oder Patientenzahl überschritten hat.

Der Deininger Internist Dr. Feldner hat ausgerechnet, dass die versprochenen 0,9 Prozent einen durchschnittlichen Umsatzzuwachs von 1800 Euro pro Jahr ausmachen würden. Pro Tag würden ihm dann netto „weniger als zwei Euro bleiben“. Feldner: „Da kann der Doktor dann abends in die Wirtschaft gehen und sich dafür nicht einmal eine halbe Bier kaufen.“

Der Mediziner macht noch eine andere Rechnung auf: Etwa 100 bis 200 Euro kosten jeden Tag die Leistungen, die er für Patienten erbringt und die er nicht von den Kassen erstattet bekommt. „Ganz vorsichtig geschätzt“ seien das über 30000 Euro pro Jahr. „Was die Ärzte jetzt fordern, ist weit weniger als der Betrag, der nicht erstattet wird“, argumentiert der Deininger Internist. Im Durchschnitt bekommt ein Allgemeinmediziner 45 Euro pro Kassenpatient im Quartal; bei der zeitaufwendigen Behandlung beim Psychiater sind es rund 60 Euro; der Hautarzt darf gar nur etwa 16 Euro abrechnen.

Unabhängig von der aktuellen Einkommenssituation wird die Bezahlung der niedergelassenen Ärzte vor allem auf dem Land zur tiefgreifenden Krise des Gesundheitssystems. Davon ist Dr. Beate Lill überzeugt. Gemeinsam mit ihrem Mann Dr. Johannes Lill hat sie eine Praxis in Berg. Das Ärzteehepaar möchte in etwa zwei Jahren an einen Nachfolger übergeben. „Bei diesen Einkommensverhältnissen werden wir keinen Nachfolger bekommen, wir haben keinen einzigen Interessenten“, berichtet die Medizinerin. Viele ältere Kollegen im Landkreis Neumarkt seien in einer ähnlichen Lage. „Wegen der zu niedrigen Bezahlung wird das in der Fläche zu einem Riesenproblem.“

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