Neumarkts Unterwelt ist ein Spielplatz für 120.000 Ratten

04.07.2012, 10:36 Uhr
Neumarkts Unterwelt ist ein Spielplatz für  120.000 Ratten

© Kunze

Mit einem geübten Griff entfernt Michael Gilch den 50 Kilogramm schweren Deckel. Dann holt er einen meterlangen Draht ein, an dessen Ende ein kreisrunder, leicht verschimmelter Köder baumelt. „Kein Befall“, vermeldet der 41-jährige Bauhofmitarbeiter und tauscht den alten Köder gegen einen frischen aus.

„Kein Befall“ ist kein optimales Ergebnis. Denn gerade in der Innenstadt mit den vielen Geschäften halten sich Ratten liebend gern auf. „Kein Befall“ bedeutet: Die Ratte hat nicht angebissen — und das soll sich möglichst schnell ändern.

Im ganzen Stadtgebiet ist Michael Gilch zusammen mit Otto Zahn unterwegs. Die Männer sollen herausfinden, wo sich Ratten besonders gern aufhalten und entsprechend Köder auslegen.

„Auf jeden Einwohner kommen normalerweise drei bis vier Ratten“, sagt Zahn. Der 53-Jährige ist Mitarbeiter der Firma „Hentschke & Sawatzki“, einem Spezialisten für Schädlingsbekämpfungsmittel aus Schleswig-Holstein. Zahn fährt in ganz Bayern von Ort zu Ort und kontrolliert höchstpersönlich, ob seine Köder den Ratten den Garaus machen.

Nach Biss zum Arzt

In Neumarkt sei alles im grünen Bereich, lobt der Experte. Von einer Rattenplage könne man nicht sprechen. Dass die Tiere unter Menschen weilen, sei normal und werde sich sicherlich auch nicht ändern. Aber die Population soll so gering wie möglich gehalten werden. Denn Ratten können Krankheiten übertragen. „Wenn ein Mensch gebissen wird, sollte er zum Arzt gehen“, rät das Neumarkter Gesundheitsamt.

Damit die Ratten dem Menschen erst gar nicht so nah kommen, dafür sorgt zuverlässig der städtische Bauhof. „Der Bauhof leistet sehr gute Arbeit und legt schon seit langem prophylaktisch Köder aus“, lobt Fachmann Zahn. Vorbeugen sei eine sichere Maßnahme, die den Rattenbestand in Schach halten könne. Zum Vergleich: In Berlin läuft die Rattenbekämpfung nicht so reibungslos. Dort kommen auf jeden Einwohner 30 Ratten. Ein unvorstellbares Gewusel im Untergrund.

Wenn Michael Gilch in Neumarkt die Kanaldeckel anhebt, sieht er meist nur langsam fließendes Wasser. Selten kommt es zur direkten Konfrontation mit den Nagern. Ratten sind sehr scheu und fliehen, sobald sie in ihrer Welt gestört werden. Gebissen habe ihn noch keine, sagt der 41-Jährige. Trotzdem müsse man vorsichtig sein.

Gilch hat, wie weitere vier Kollegen, eine spezielle Schulung absolviert. Denn nicht jeder darf das Rattengift verteilen. In regelmäßigen Abständen von rund vier Wochen prüfen die Bauhof-Mitarbeiter, ob die Köder auch nicht ihre Wirkung verfehlen. Eine endlose Arbeit. Denn allein in Neumarkt gibt es 7000 Schächte. Das Kanalsystem ist 260 Kilometer lang.

Neumarkts Unterwelt ist ein Spielplatz für  120.000 Ratten

© Johnston

Darin fühlen sich die Nagetiere besonders wohl. Schließlich füttert sie der Mensch täglich. „Die Bürger müssen endlich einsehen, dass sie ihre Essensreste nicht einfach in die Toilette werfen dürfen“, ärgert sich Richard Willjung, Leiter des Bauhofs.

Auch auf dem Komposthaufen sollten faules Obst oder benutzte Teebeutel nicht einfach entsorgt werden. Die Lebensmittel locken die Tiere an. Ganz besonders im Sommer. Denn dann halten sie sich gern an der Oberfläche auf. „Ratten sind anpassungsfähig und können verschiedenste Lebensmittel verwerten“, erklärt Zahn.

Daher ist die Kanalisation auch ein optimaler Lebensraum. „Ratten benutzen die Schächte als Laufweg, Spiel- und Essensplatz“, fasst der Fachmann zusammen.

Mit Getreide vermengt

Weil sich die Tiere dort so richtig wohl fühlen, hängt von jedem Kanaldeckel ein Köder herab. Drei Euro kostet einer. Die 220 Gramm schwere Todesfalle ist derzeit ein probates Mittel, um den Tieren Herr zu werden. Das Gift ist mit Getreide vermengt. Nur so ist gewährleistet, dass die Ratten den Köder annagen.

Schon eine geringe Menge ist tödlich. Das Gift hemmt die Blutgerinnung, das Tier verliert Körperflüssigkeit und verblutet innerlich. „Forschungen haben gezeigt, dass diese Methode nur geringe Schmerzen verursacht“, sagt Zahn und hofft, dass das auch tatsächlich so ist.

Bis der Tod eintritt, dauert es insgesamt fünf Tage. Erst nach 48 Stunden macht sich das Gift im Körper bemerkbar. „Würde die Wirkung früher einsetzen oder die Ratte sofort sterben, wären die anderen Ratten gewarnt und würden nicht mehr an den Köder gehen“, sagt Zahn. „Ratten sind schlau.“

Kurze Lebensdauer

Und Ratten vermehren sich rasant. Pro Wurf gibt es acht Junge. Dreimal im Jahr sind die Weibchen schwanger. Allerdings werden sie nicht sehr alt. „Einen zweiten Winter überleben sie in der Regel nicht“, so Zahn. Zum Vergleich: Eine Laborratte wird bis zu fünf Jahre alt.

Die ausgetauschten Köder entsorgt Michael Gilch sofort. Sie landen — wenn es sich um geringe Mengen handelt — im Restmüll. Größere Mengen müssen im Sondermüll gesammelt werden.

Und auch die Kadaver müssen entsorgt werden. Meistens werden sie mit dem Spülwasser durch den Kanal Richtung Kläranlage getrieben und landen dort im Auffangbereich.
 

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