Armut im Alter
Scham vor dem Tafel-Besuch: Nachfrage nach anonymen Senioren-Tüten in Mittelfranken ist riesig
20.3.2024, 17:25 Uhr"Sie schämen sich und wollen nicht, dass es jemand mitbekommt", sagt Thomas Nicol. Der 45-Jährige ist seit mehr als zwei Jahren Vorsitzender der Aischgründer Tafel. "Gerade für ältere Leute ist es oft ein Problem, zu uns zu kommen." Seit wenigen Wochen bietet die Aischgründer Tafel deshalb in Neustadt/Aisch und Umgebung die anonyme Seniorentüte an - und die Nachfrage ist riesig. Auch die umliegenden Gemeinden wollen das Konzept nun übernehmen.
Anonym mit Lebensmitteln versorgt
Die Tafel in Neustadt/Aisch versorgt aktuell etwa 1000 Personen. Nicol fiel auf, dass darunter nur sehr wenige ältere Menschen waren. "Eine Dame hat sich bei uns angemeldet und war ein, zwei Mal da, dann ist sie plötzlich nicht mehr gekommen", sagt Nicol. Also fragte er bei ihr nach, warum sie nicht mehr komme. "Sie sagte, es sei jedes Mal eine Überwindung für sie, zu uns zu kommen. Und sie kenne noch mehr Leute, denen es genauso gehe."
Die anonyme Tüte soll Seniorinnen und Senioren den oft schambehafteten Gang zur Tafel ersparen. Denn Nicol will, dass diese Menschen trotzdem von der Tafel profitieren können. "Wir können das den Leuten aber ja nicht ausreden, wenn sie ein schlechtes Gefühl haben." Deshalb können Seniorinnen und Senioren nun bereits vorgepackte Tüten bei der Tafel abholen - außerhalb der regulären Zeiten im Büro der Tafel.
Für Menschen, die nicht mobil sind, werden die Waren geliefert. Der Lieferwagen, der dafür eingesetzt wird, ist nicht beschriftet, sodass auch die Lieferung möglichst anonym bleibt. "Natürlich ist es nicht das Gleiche wie vor Ort, wo man sich die Sachen selbst aussuchen kann", sagt Nicol. "Aber wir versuchen schon, die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen zu berücksichtigen, wenn wir die Tüten packen."
"Ich war überwältigt"
Die große Nachfrage der letzten Wochen zeigt, wie groß die Scham bei vielen Menschen ist, zur Tafel zu gehen. "Ich war selbst überwältigt, dass dieses Thema so große Wellen schlägt", sagt Nicol. "Auf der anderen Seite bin ich bestürzt. Da kommen Abgründe zum Vorschein." Mit dem umliegenden Gemeinden schaut er nun, wie das Konzept auch dort umgesetzt werden kann. "Bad Windsheim zum Beispiel ist Feuer und Flamme von der Idee", sagt er. Er kann sich vorstellen, in Zukunft vorgepackte Tüten in die Gemeinden fahren, die dann vor Ort verteilt werden können.
Dass durch den großen Bedarf mehr Waren benötigt werden, sieht Nicol entspannt. "Der Rückhalt von der Bevölkerung ist ganz toll", sagt er. Natürlich müsse man immer weiter fahren, um ausreichend Waren zur Verfügung zu haben, zum Beispiel zu Bürger nach Crailsheim oder zu Danone nach Ochsenfurt. "Man muss einfach erfinderisch sein. Geht nicht gibt es für mich nicht."
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