Nitrat-Streit: Experten wehren sich gegen "Fake News"

Martin Müller

Redaktion Metropolregion Nürnberg und Bayern

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22.2.2020, 05:25 Uhr
Trinkwasser kommt häufig aus Tiefbrunnen, für die Bauern sind die Nitratwerte in oberflächennahmen Grundwasser entscheidend.

© Harry Melchert/dpa Trinkwasser kommt häufig aus Tiefbrunnen, für die Bauern sind die Nitratwerte in oberflächennahmen Grundwasser entscheidend.

Im April soll der Bundesrat über die neue Düngeverordnung entscheiden. Schon seit zehn Jahren ermahnt die EU–Kommission Deutschland wegen der Nitrat-Werte im Grundwasser, passiert ist bislang nur wenig. Nun gibt es wohl keinen Ausweg mehr. „Die neue Düngeverordnung wird kommen“, sagte Thomas Keller, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Ansbach, denn auch bei einem Treffen mit führenden Vertretern des Bayerischen Bauernverbandes in der Region.

600 Messstellen gibt es bislang in Bayern, die entscheidend dafür sind, ob in Gebieten besondere Auflagen für die Düngung verhängt werden. „Viel zu wenig“, sagen die Bauern, die wollen, dass die roten Gebiete kleinräumiger ausgewiesen werden.

1500 statt bislang 600 Messstellen

Die Staatsregierung hat bereits angekündigt, die Zahl der Messstellen innerhalb von sechs Jahren auf 1500 zu erhöhen. In diesem Jahr sollen die ersten 100 in Betrieb gehen. Bis zum 21. Februar hatten die Wasserwirtschaftsämter Zeit, die ersten geeigneten Messstellen zu melden. 

Die Ansbacher Behörde hat aus mehr als 30 Vorschlägen sieben bereits vorhandene Messstellen (zum Beispiel aus der Wasserversorgung oder Grundwassermessstellen) ausgesucht, bis zu einem zweiten Termin am 13. März will sie weitere melden. Auch ganz neu zu bohrende Messstellen sollen dabei sein. Bei den ersten neuen Standorte sollen bereits im April Proben genommen werden.

Jeder Grundwasserkörper soll dann im Schnitt mit vier Messstellen kontrolliert werden. Bislang waren es oft nur zwei. Im Grundwasserkörper südlich von Rothenburg gab es sogar keine einzige Messstelle. 

Auch bislang waren aber nicht nur die 600 erwähnten Messstellen allein für die Einteilung in rote und grüne Gebiete verantwortlich. Es wurden auch die Daten von 9500 weiteren Messstellen in Bayern herangezogen (zum Beispiel solche von Wasserversorgern), um die Ergebnisse zu plausibilisieren.

Hundehaufen haben keinen Einfluss

An den neuen Messstellen werden neben Nitrat auch Chlorid, Kalium, Kieselsäure und viele andere Parameter gemessen. Der von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zitierte Hundehaufen im Umfeld einer Quelle spielt bei den Messergebnissen laut Wasserwirtschaftsamt keine Rolle. Nur wenn die Temperatur der Quelle konstant um die zehn Grad liegt, werden Proben genommen. Wenn die Temperatur abweicht, zeigt das, dass Oberflächenwasser zufließt und die Ergebnisse beeinflussen würde.

Bei stehendem Grundwasser wird erst 20 bis 30 Minuten lang Wasser gepumpt, bis alle relevanten Parameter konstant sind. Erst dann wird eine Stichprobe entnommen und anschließend im Labor untersucht. 

Rolle von Kläranlagen und Kanalisation

Unter den Bauern kursieren zum Thema Nitrat viele Gerüchte und Theorien, zum Beispiel, dass viele Verunreinigungen nicht aus der Landwirtschaft stammen, sondern aus den Kläranlagen und der undichten Kanalisation.

Dem widerspricht Keller entschieden. Seine Argumentation: Kläranlagen liegen üblicherweise am tiefsten Punkt ihres Einzugsgebiets und leiten dann geklärtes Wasser mit einem Nitratgehalt von fünf bis 15 Milligramm pro Liter (der Schwellenwert liegt bei 50 Milligramm) in die Flüsse ein. „Dort fließt es in die Nordsee und ins Schwarze Meer, nicht ins Grundwasser“, betonte Keller.

Auch undichte Kanäle seien nur für ein bis zwei Prozent der Nitrateinträge verantwortlich, zwei Drittel kämen aus der Landwirtschaft. „Zwar sind zehn bis 15 Prozent der Kanäle sanierungsbedürftig. Oft haben die Kommunen aber eher damit zu kämpfen, dass Grundwasser in die undichten Kanäle eindringt, als dass Abwasser austritt“, verdeutlichte Keller. 

Oft verlangt wird von den Landwirten, dass auch andere Verursacher von Stickstoffemissionen gefordert sind. Diese haben laut Wasserwirtschaftsamt aber in den vergangenen 20 Jahren im Vergleich zur Landwirtschaft bereits viel in diesem Bereich erreicht. "In die Abwasserreinigung haben Industrie und Kommunen Milliarden von Euro investiert, kritische Stoffe wurden verboten, Gewässer renaturiert", betonte die Ansbacher Behörde. 

Straßen verfälschen Messergebnisse nicht

Auch viel befahrene Straßen neben Nitrat-Messstellen hätten, anders als oft kolportiert, keinen Einfluss auf die Messergebnisse. "Die Emissionen des Verkehrs werden über die Luft großräumig verteilt und gelangen als Regen oder Staubniederschlag wieder auf die Flächen. Sie wirken sich nur als Hintergrundbelastung aus, verursachen aber keine maßgeblichte Belastung in den Messstellen", erläuterte Keller.

Häufig wird auch angeführt, dass direkt im Umkreis von Nitrat-Messstellen mit schlechten Messwerten bei anderen Messungen deutlich geringere Werte festgestellt werden. Dies liegt aber zum einen daran, dass die Nitrat-Messstellen oft mit Trinkwasserwerten verglichen werden. Das Trinkwasser kommt aber meist aus viel tieferen Schichten, die noch nicht so sehr durch Nitrat verunreinigt wurden.

Zum anderen müssen auch die Grundwasserfließrichtung und das Einzugsgebiet der Messstelle betrachtet werden. "Grundwasser bewegt sich. Deshalb kann es sein, dass zum Beispiel Messstellen am Rand eines Gewerbegebiets bis zu 100 Prozent die landwirtschaftlichen Nutzungen repräsentieren, unter denen sich das Grundwasser zuvor gebildet hatte", erklärte Keller.

Nicht alle roten Gebiete werden grün werden

"Ich warne davor, sich zu erhoffen, dass von den 21 Prozent Landesfläche, die jetzt rote Gebiete sind, künftig alles grün wird", betonte Keller. Rote und grüne Gebiete werde es weiter geben. Weil auch mit mehr Messstationen keine verursachergenaue Ausweisung von roten Gebieten und Auflagen möglich ist, schlägt der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes vor, neben den Mess- auch die Emissionsdaten der Betriebe mit einzubeziehen und die Verwaltung die Einflüsse von Witterung und Geologie einberechnen zu lassen.

Bis das alles in eine Veränderung des Zuschnitts der roten Gebiete durchschlägt, könnte es allerdings Jahre dauern. „Mit der neuen Düngeverordnung muss man aber schon vorher 20 Prozent unter Bedarf düngen. Dann habe ich so große Qualitätseinbußen, dass die Mühle den Qualitätsweizen nicht mehr annimmt oder die Bauern im Knoblauchsland ihre Produkte nicht mehr so gut loswerden“, sagte Ottmar Braun, Geschäftsführer des Bauernverbandes in Mittelfranken.

"Viele Bauern werden aufgeben müssen"

Die Bauern stört vor allem auch, wie schnell sie die neue Düngeverordnung umsetzen müssen. Etliche Landwirte müssen künftig wohl ihre Güllelagerkapazitäten erhöhen. "Das genehmigen die Landratsämter aber gar nicht so schnell, und die Baufirmen bauen das dann auch nicht so schnell. Die Konsequenz ist, dass die Bauern ihren Viehbestand verringern und deshalb oft aufgeben müssen", erläuterte Jürgen Dierauff, Kreisobmann des Bauernverbandes im Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim.

"Auf die Düngeverordnung von 2017 haben sich die Betriebe eingestellt. Jetzt gibt man ihnen mit der neuen Düngeverordnung aber zu wenig Zeit, sich umzustellen und aufzurüsten. Dass man in Deutschland zehn Jahre hat verstreichen lassen, ist nicht die Schuld der Bauern", betonte Wolfgang Weinmann vom Fachzentrum Agrarökologie in Uffenheim.

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