NSU-Anschlag in Kassel hatte viele Zeugen
25.9.2013, 21:10 UhrEs war einer der dreistesten Morde des „Nationalsozialististischen Untergrunds“ (NSU): Am 6. April 2006 erschossen die Neonazi-Terroristen den 21-jährigen Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel – obwohl insgesamt fünf Besucher in dem Lokal waren.
Am Donnerstag schilderte ein Polizeibeamter vor Gericht die Situation: Ein Iraker habe in einer der Telefonkabinen gestanden, als die Täter nur wenige Schritte entfernt Yozgat mit zwei Schüssen in den Kopf töteten. „Er hat bei einem der Telefonate etwas Dumpfes gehört, zwei bis drei Mal. Er hat nichts gesehen, weil großes Plakat vor Glastür war“, schilderte der Beamte. Auf den Bildern des Cafés sind die Telefonkabinen zu sehen – mit Türen aus dunklem Glas, beklebt mit Plakaten.
„Im Augenwinkel hat er noch eine männliche Person gesehen, circa einsachtzig groß, die unmittelbar nach dem Knall das Internetcafé verlassen hat“, sagte der Beamte. Halit Yozgat war das neunte Todesopfer der NSU-Terroristen. Und es scheint, dass die Täter – laut Anklage stets Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – immer größere Risiken eingingen, einen immer größeren Nervenkitzel suchten: Das Internetcafé befand sich an einer lebhaften Straße, es war ein schöner Frühlingsnachmittag, direkt nebenan waren eine Teestube, eine Metzgerei und ein Restaurant. „Es konnte jederzeit jemand um die Ecke oder in den Laden kommen“, sagte der Kriminaloberkommissar.
In einer weiteren Telefonkabine saß eine Mutter mit ihrem kleinen Kind, und im hinteren Raum des Cafés saßen drei Besucher an den Computern. Die meisten von ihnen hörten Knallgeräusche, doch niemand konnte das Geräusch richtig zuordnen. Sie hörten erst, als der Vater des Ermordeten aus dem vorderen Raum um Hilfe rief: Ismail Yozgat kam kurz nach 17 Uhr in das Geschäft, um seinen Sohn abzulösen – und fand ihn tödlich verletzt hinter dem Tresen.
Ein Besucher allerdings will von den Schüssen gar nichts mitbekommen haben – ein Mann, der sich zunächst auch nicht als Zeuge gemeldet hatte und dessen Anwesenheit besonderen Anlass zu Spekulationen gab: Andreas T. war Mitarbeiter des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz. Ermittlungen gegen den Mann blieben allerdings ohne Ergebnis. Die Anklage geht davon aus, dass er nur zufällig am Tatort war. Auch im Fall Yozgat wurde deutlich, wie sehr die Familien von den Ermittlungen betroffen waren: Telefone wurden abgehört, auch ein verdeckter Ermittler eingesetzt – alles ohne Ergebnis.
Trotzdem sei das Verhältnis zur Familie sehr vertrauensvoll gewesen, meinte der Beamte: „Wir haben erklärt, dass wir auch innerhalb der Familie möglich erscheinende Motive abklären müssen. Wir haben von Anfang bis Ende sehr harmonisch zusammengearbeitet.“ Die Anwälte der Familie sehen das wohl anders: „Ich möchte die Harmonie etwas trüben“, sagte Nebenklagevertreter Thomas Bliwier. Er konfrontierte den Beamten mit einem Vermerk aus den Akten.
Demnach hatte sich Ismail Yozgat bei der Polizei beschwert – lange, bevor die Terrorgruppe aufflog: Die Ermittlungen liefen in die falsche Richtung, man solle aufhören, ihn und die Familie zu verdächtigen, er sei überzeugt, dass sein Sohn und die anderen Opfer aus ausländerfeindlichen Motiven ermordet worden. Immer unsicherer wurde der Beamte, als Bliwier ihn fragte, wie genau er nach fremdenfeindlichen Hintergründen gesucht habe. Seine Hände fingen an zu zittern. Schließlich sagte er: „Herr Yozgat hat sich uns gegenüber nicht so geäußert.“ Nächste Woche stehen spannende Vernehmungen an: Dann soll Ismail Yozgat selbst gehört werden. Und auch der rätselhafte Verfassungsschützer Andreas T. ist als Zeuge geladen.
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