1991: Das Tauziehen um den Augustinerhof
15.01.2011, 15:35 Uhr
Das Gelände in der Sebalder Altstadt zwischen Augustinerstraße und Pegnitz gilt als absolutes Filetstück, dennoch liegt es erstaunlicherweise seit über 30 Jahren brach. Mitte der 70er verlegte der Druckerei-Verlag Willmy, Eigentümer und letzter Nutzer des Grundstücks, seine Produktion nach Gebersdorf. Fortan verfie-len die Gemäuer in einen Dornröschenschlaf, bis endlich ein Prinz auftauchte und sie wachzuküssen versuchte.
Ende 1989 kaufte der Deutsch-Iraner Mohammad Abousaidy das Areal und erklärte, eine Ladenpassage errichten zu wollen. Allenthalben war die Erleichterung groß, daß der zum „Ratzentanzplatz“ verkommene Schandfleck endlich verschwinden sollte.
„Aufgeschnittene Wurst“
Zumindest bis zum 17. Januar 1991, dem Tag, als das Modell des künftigen Komplexes zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Die Planung stammte von Helmut Jahn, einem damals schon weltbekannten Architekten mit Zirndorfer Wurzeln.
Der große, gespaltene Baukörper, der mit sanftem Schwung Winklerstraße und Karlstraße verbinden sollte, hatte augenblicklich den Spitznamen „aufgeschnittene Bratwurst“ weg. Gegen Bratwürste wäre ja in der Noris kaum etwas zu sagen, doch im Unterschied zur fingerlangen Rostbratwurst war dieses Trumm 100 Meter lang und 25 Meter hoch.
Gespalten wie die aufgeschnittene Wurst war auch die öffentliche Meinung. Der Stadtrat stand geschlossen hinter dem Jahn-Entwurf, allen voran OB Peter Schönlein. „Nürnbergs Zentrum ist kein Freiluftmuseum, sondern ein lebendiger Organismus“, erklärte er den Nürnberger Nachrichten. Der Baukunstbeirat nannte den Plan eine „aparte Lösung“.
Die Gegner scharten sich um den Verein „Nürnberger Altstadtfreunde“ und deren Chef Erich Mulzer, der wenig freundliche Worte fand. Er nannte das Jahn-Modell „Kongresszentrum“, „Ozeandampfer“ und sogar „Krebsgeschwür“. Zudem beklagte Mulzer die Dominanz des Baukörpers und kritisierte das gewerbliche Nutzungskonzept. Was die Altstadtfreunde am meisten erzürnte, war die Absicht des Baureferenten Walter Anderle, das Projekt nach Paragraf 34 Baugesetzbuch ohne langwieriges Bebauungsplanverfahren und öffentliche Beteiligung durchzuziehen.
Die Altstadtfreunde reagierten sofort und erwarben für 1,5 Mio Mark ein denkmalgeschütztes Gebäude an der Winklerstraße als Sperrgrundstück. Den Grad ihrer Entschlossenheit zeigt die Tatsache, dass sie sich damit auf Jahre hinaus verschuldeten und dringende Sanierungen ihrer Gebäude verschieben mussten.
Jahn griff einige Kritikpunkte auf und legte im Herbst 1991 einen abgeänderten Entwurf vor. Daraufhin erteilten alle Stadtratsfraktionen in seltener Einmütigkeit Anderle den Auftrag, eine Baugenehmigung zu prüfen, und zwar nach Paragraf 34. Dagegen formierte sich die Bürgerinitiative „Rettet die Sebalder Altstadt“, der sich die Altstadt-Ortsvereine von CSU und SPD anschlossen. Der Spalt ging mittlerweile auch durch die Parteien. Die Gruppe erhöhte den Druck auf die noch geschlossenen Reihen des Stadtrats und sammelte binnen kurzer Zeit 50000 Unterschriften gegen das Projekt.

Der entscheidende Schlag kam im Januar 1992 aus München. Edmund Stoiber, damals noch Innenminister, befand, dass ein Bau nach Paragraf 34 unzulässig wäre. „Für mich ist das Ding gestorben“, erklärte daraufhin der CSU-Fraktionsvorsitzende Ludwig Scholz. Weit gefehlt, der Augustinerhof sollte noch lange Zeit dahinsiechen.
Kurz darauf präsentierte Jahn ein weitergeschrumpftes Modell und der Stadtrat beschloss nahezu einstim-mig, ein Bebauungsplanverfahren einzuleiten. Während der öffentlichen Auslegung des Entwurfs gingen fast 8000 Bedenken ein, etwa zehnmal mehr als in vergleichbaren Fällen. Im September 1993 läutete OB Schönlein den Rückzug ein, das Projekt habe „keine ausreichende Akzeptanz bei der Bürgerschaft“.
Der Stadtrat stellte das Planverfahren ein. Doch Abousaidy und Jahn ließen nicht locker. Den mittlerweile vierten Entwurf fand der Stadtrat im Winter 1994 plötzlich wieder akzeptabel und durchführbar, und zwar „nach 34“. Das brachte die Bezirksregierung in Mittelfranken auf den Plan, die „nicht unerhebliche rechtliche Bedenken“ äußerte. Die Einigkeit im Rat war nun endgültig dahin, CSU und Grüne verabschiedeten sich vom Augustinerhof. Mit immer knapperen Mehrheiten trieben SPD und FDP das Projekt voran.
Da bot sich den Gegnern plötzlich eine neue Waffe: im Frühjahr 1995 wurde per Volksentscheid die Einführung von Bürgerentscheiden in Bayern beschlossen. Am 14. Januar 1996 entschied sich beim ersten Bürgerentscheid in der Noris eine klare Mehrheit von fast 69 Prozent gegen das Jahn-Projekt.
Abousaidy trieb es in den Ruin, das Gelände ging an die Eurohyp, seine Gläubigerbank. OB Schönlein verlor kurz darauf die Oberbürgermeisterwahl gegen Ludwig Scholz überraschend deutlich.
Ratten bewohnten den Hof
Der Augustinerhof verfiel wieder in einen Dämmer-schlaf, bewohnt nur noch von Tauben und Ratten. Lediglich der Innenhof wurde als Parkplatz genutzt. Potenzielle Investoren kamen und gingen wieder, entweder weil erneuter Widerstand zu befürchten war, oder wegen zu hoher Preisvorstellungen der Eurohyp.
Es dauerte bis zum Dezember 2007, bis ein neuer Prinz erschien. Bei der anstehenden Zwangsversteigerung erwarb der Nürnberger Immobilien-Entwickler Gerd Schmelzer das Areal. Aus dem folgenden Architektenwettbewerb ging Volker Staab, der bereits mit dem Neuen Museum Furore gemacht hatte, als Sieger hervor. Als Baubeginn für das neue Modell mit Premium-Einzelhandel, Hotel und Wohnungen wurde 2011 anvisiert. Bis dahin wird das Gelände einmal wieder als Parkplatz genutzt.
Davor, im Frühjahr 2008, rückten die Bagger an und rissen die alten Gemäuer ab. Helmuth Schönweiß, ein auf Abbruch-Dokumentation spezialisierter Fotograf, erinnert sich an den haarsträubenden Zustand der Gebäude: „Eine artenreiche Fauna und Flora hatte sich dort im Laufe der Jahre breitgemacht: Ratten, Tauben, Spinnweben so groß wie Betttücher, Schimmelpilze aller Art und Güte, moosüberwucherte Räume. Das Entkernen der teilweise einsturzgefährdeten Gebäudeteile sorgte selbst bei den hartgesottenen Mitarbeitern des Abrissunternehmens für ein flaues Gefühl im Magen.“