Aussage unter Tränen
"Alles, was mir von meinem Kind noch bleibt": Vater des Ungeborenen im Prozess um Alexandra R.
15.4.2024, 20:21 Uhr"Der 9. Dezember - der schlimmste Tag meines Lebens". Es war jener Freitag im Jahr 2022, an dem die im achten Monat schwangere Alexandra R. aus Katzwang verschwand. Seither gibt ihr Verschwinden ein großes Rätsel auf - und hat in der ganzen Bundesrepublik für Bestürzung gesorgt. Im Prozess um den mutmaßlichen Mord an der Vermissten hat am Montag, ab 13 Uhr der Lebensgefährte und Vater des ungeborenen Kindes ausgesagt.
Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth berichtet er von fragwürdigen Immobiliengeschäften und schwierigen privaten Verhältnissen. Er und R. lernten sich selbst Ende 2017/Anfang 2018 über Immobiliengeschäfte kennen. "Dafür bin ich sehr dankbar", erklärt der ehemalige Mathelehrer. Seit dem Verschwinden "seiner Alex", wie er sie nennt, sei er krankgeschrieben. Zuletzt hatte er eine Anstellung als Lehrer in Langenzenn, im Kreis Fürth. Er ist promovierter Wirtschaftsmathematiker, machte eine Ausbildung zum Immobilienmakler - und so habe er auch Aufträge von dem heute angeklagten 50-Jährigen übernommen.
Detailliert erzählt der 39-Jährige vom ersten Kontakt mit den Firmen, in denen Alexandra R. Geschäftsführerin war. Allerdings lediglich auf Papier. So schildert er, dass der angeklagte Dejan B. federführend für das Geschäftliche verantwortlich gewesen war. "Er hat gesprochen, sie hielt sich im Hintergrund", so der Zeuge.
Er habe viele abenteuerliche Geschichten erzählt, immer "dick aufgetragen". Der 50-Jährige, mit dem R. zu dem Zeitpunkt eine jahrelange On-Off-Beziehung hatte, habe die leitende Bankangestellte über Jahre ausgenutzt, um seine krummen Immobiliengeschäfte zu finanzieren. Habe sich Gewinne abgeschöpft, und R. habe immer nur bezahlt. Schnell habe der Lehrer mitbekommen, dass die Geschäfte nicht sauber laufen würden.
Zunächst rein geschäftliche Beziehung
Die Beziehung zwischen Alexandra R. und dem Mathelehrer sei zunächst immer rein geschäftlich gewesen. Auch als die 39-Jährige ihn Ende März 2022 kontaktierte und um Hilfe bat, nachdem sie sich endgültig von Dejan B. getrennt habe und kurzzeitig in einem Frauenhaus Zuflucht gefunden hatte. Für ihn sei klar gewesen, dass er ihr mit ihren finanziellen Problemen helfen wollte. Bereits im April habe ihm die Bankangestellte dann per Whatsapp-Nachricht gestanden, dass sie Gefühle für ihn entwickelt habe. "Ich war selten in meinem Leben sprachlos, aber da war ich sprachlos", erklärt der ehemalige Lehrer.
Daraufhin hätten sie viel Zeit miteinander verbracht, sich intensiver kennengelernt - und auch was er für R. empfand, änderte sich fortan schnell. "Ich habe in dieser Zeit unfassbare Gefühle für Alex entwickelt." Immer wieder betont er vor Gericht, welch lieber Mensch die 39-Jährige sei - und zugleich die "liebevollste Mutter, die sich ein Kind wünschen kann. Anna (Name von der Redaktion geändert, es handelt sich um die Pflegetochter von R.) war ihr Heiligtum, ihr ein und alles".
"Alles, was mir von meinem Kind noch bleibt"
Mehrfach muss der 39-Jährige seine Aussage unterbrechen, Tränen laufen ihm über das Gesicht. Das tun sie vor allem auch, wenn er über das ungeborene gemeinsame Kind spricht. Da R. laut eigener Aussage zum damaligen Zeitpunkt schon lange nicht mehr intim mit ihrem Ex gewesen war, habe er nicht den geringsten Zweifel daran, "dass das hier auf meinem T-Shirt mein Kind ist". Er zeigt auf sein weißes Shirt, das mit einem Ultraschallbild bedruckt ist. "Das ist alles, was mir von meinem Kind noch bleibt", sagte er vor Gericht. Das Kind wäre heute bereits über ein Jahr alt.
Zur selben Zeit wie Alexandra R. sei auch seine Ex-Partnerin von ihm schwanger gewesen. Die 39-Jährige habe die Nachricht allerdings total "entspannt" und gefasst aufgenommen, und ihn lediglich gebeten, auch für das andere Kind Verantwortung zu übernehmen.
Gerichtstermin platzte
Die Bankangestellte sei zu dem Zeitpunkt zum ersten Mal seit langer Zeit glücklich gewesen, habe sich auf ihr auf gemeinsames Kind und das neue Haus gefreut, erzählt der 39-Jährige. Mit den Immobiliengeschäften von B. wollte die 39-Jährige von da an längst nichts mehr zu tun haben. Wegen des maroden Zustands der Immobilien habe es nur Ärger gegeben, daher wollte sie zahlreiche Objekte loswerden. Außerdem habe sie auf Anraten des 39-Jährigen einen Anwalt und einen Steuerberater konsultiert, um "reinen Tisch zu machen". Dazu hätte am 15. Dezember 2022 ein wichtiger Gerichtstermin stattfinden sollen, bei dem sich R. rechtlich gegen eine Zahlungsaufforderung in Höhe von rund 800.000 Euro von Dejan B. wehren wollte. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Nur wenige Tage davor verschwand R. laut Anklage spurlos. Um eine falsche Spur zu legen, sollen Dejan B. und sein Geschäftspartner Ugur T. nach der Tat Abschiedsnachrichten vom Handy der Frau an den aktuellen Lebensgefährten und mehrere Personen aus dem nahen Umfeld verschickt und das Telefon anschließend nach Italien gebracht haben.
Kindsvater war sich sofort sicher: "Da stimmt etwas nicht"
Bereits am Tag von R.'s Verschwinden war sich der Lebensgefährte sicher: "Da stimmt etwas nicht". Sehr früh fiel sein Verdacht auf den nun angeklagten 50-jährigen Ex-Partner der Frau. "Nie im Leben ist die Nachricht von der Alex. Das klingt vielmehr nach Dejan", schildert er vor Gericht. "Sie hätte Anna* nie zurückgelassen, niemals nicht. Das war ausgeschlossen". Er habe sofort an eine Entführung gedacht und sei zur Polizei gegangen. Immer wieder schildert er: "Das war alles so hektisch, das war alles so chaotisch."
Seit diesem Tag leide der ehemalige Mathelehrer zum Teil unter Panikattacken, habe Angstzustände. Die Pflegetochter schreie immer noch nach ihrer Mama, sagt der 39-Jährige vor Gericht - "sie ist total auf die Alex fixiert". Sie lebe zurzeit bei ihm und seinen Eltern. "Das ist das letzte was ich für die Alex noch tun kann, mich um ihr Kind zu kümmern. Weil das ist ihr Kind", betont er. Er will gerne weiter für das Mädchen sorgen, aktuell befinde er sich in Gesprächen mit dem Jugendamt, wie es mit dem Pflegekind weitergehen soll.
"Ihre Angst war wirklich massivst spürbar"
Zuvor waren am Vormittag mehrere Polizeibeamte als Zeugen geladen, die die Kammer zu den Ermittlungen befragte. Auch eine Vertreterin aus dem Frauenhaus Schwabach, war am Montag als Zeugin vor Ort. Dorthin war Alexandra R. im März 2022 mit ihrer Pflegetochter für rund zwei Wochen geflüchtet, nachdem sie ihre Konten für Dejan B gesperrt hatte und sich nicht mehr sicher fühlte. Laut der Sozialpädagogin habe die 39-Jährigen einen Tag zuvor im Frauenhaus angerufen, "weil sie sich sehr bedroht fühlte". Alexandra R. habe gegenüber der Pädagogin geschildert, dass ihr Ex-Partner sogar damit gedroht haben soll, die Pflegetochter zu entführen, sollte sie ihm nicht schnellstmöglich wieder Zugang zu ihren Konten gewähren.
"Ihre Angst war wirklich massivst spürbar", gibt die Frauenhaus-Mitarbeiterin an diesem Montag vor dem Landgericht gleich mehrfach zu Protokoll. Die Worte gehen nah. Im ganzen Saal herrscht Anspannung und Stille, als sie die Erinnerungen an ihre Notizen wiedergibt, die sie sich damals beim Kennenlernen von Alexandra R. gemacht hatte.
Aus Angst, der Angeklagte könnte sie finden, sei die 39-Jährige damals mit ihrem Kind zu Fuß in das Frauenhaus gekommen, das Auto ließ sie stehen. Denn: Wenn das Auto in Schwabach stehe, würde er sie finden, soll Alexandra R. gegenüber den Mitarbeitenden gesagt haben. Sie ging davon aus, dass der 50-jährige Angeklagte sie überall suchen werde.
Bei ihrem Arbeitgeber habe sie sich zu diesem Zeitpunkt krankgemeldet, auch ihre Tochter habe eine Woche entschuldigt in der Kita gefehlt. "Die ersten drei, vier Tagen hat sie das Haus überhaupt nicht verlassen", erklärt die Pädagogin. "Die Angst um ihre Pflegetochter stand im Vordergrund", sagt sie weiter.
Gegenüber dem Kind sei Alexandra R. während des Aufenthalts überaus liebenswürdig gewesen. "Ich habe selten eine Pflegemama erlebt, die so liebenswert mit ihrer Pflegetochter umgegangen ist", so die Sozialpädagogin.
Leiche bis heute nicht aufgetaucht
Die Staatsanwaltschaft wirft ihrem früheren Lebensgefährten und seinem Geschäftspartner vor, die 39-Jährige verschleppt und ermordet zu haben. Danach sollen sie eine falsche Spur gelegt haben, um den Eindruck zu erwecken, das Opfer habe sich ins Ausland abgesetzt. Eine Leiche ist bis heute nicht aufgetaucht.
Der 50-Jährige aus Bosnien-Herzegowina und der 48-jährige Deutsche müssen sich seit vergangener Woche wegen Mordes, Geiselnahme, Betrugs und anderer Straftaten vor Gericht verantworten. Am ersten Prozesstag schwiegen beide zu den Vorwürfen. Die Kammer geht von einer umfangreichen Beweisaufnahme aus. Bis Ende Juli sind insgesamt 37 Verhandlungstage angesetzt.