Als Neptun noch auf dem Hauptmarkt thronte
8.8.2017, 17:45 UhrKaiserburg, Schöner Brunnen und das ehemalige Reichsparteitagsgelände: Diese Orte stehen bei den meisten Nürnberg-Touristen ganz weit oben auf der Liste der Sehenswürdigkeiten, die sie unbedingt besichtigen wollen. In den 1930er Jahren, vor Nazi-Regime und Zweitem Weltkrieg, lag das Interesse der Urlauber und Ausflügler – auch historisch bedingt – auf anderen Attraktionen, wie die Fotos aus Evelyn Krönerts Familienalbum zeigen.
Ihre Eltern Frieda und Josef Fünffinger, die in Eger im heutigen Tschechien lebten, besuchten Nürnberg 1931. Das damals noch kinderlose Paar fuhr nach München aufs Oktoberfest, der Zwischenstopp bot sich an. Evelyn Krönert hat Aufnahmen aus diesen Tagen an die Lokalredaktion geschickt. "Mein Vater hat sehr gern fotografiert und die Bilder selbst entwickelt", erzählt die 82-Jährige. "Und auf der Rückseite hat er alle Daten und Orte genau festgehalten, wie es seine Art war."
Zum Beispiel gibt es ein Foto, auf dem Frieda Fünffinger mit zwei Bekannten vor dem Neptunbrunnen posiert – der 1931 allerdings noch auf dem Hauptmarkt stand. Im Hintergrund sind der Schöne Brunnen und die Kirchentürme von St. Sebald zu erkennen. Der Brunnen ist die Kopie einer frühbarocken, monumentalen Brunnenanlage – damals die größte "nördlich der Alpen", wie das Baureferat 2012 in seiner Broschüre "Neues aus dem Baumeisterhaus" schreibt.
Der Originalbrunnen wurde in Nürnberg entworfen und gegossen und sollte ab 1688 den zu jener Zeit stark verwahrlosten Schönen Brunnen auf dem Hauptmarkt ersetzen, ist in dem Buch "Brunnen, Denkmale und Freiplastiken in Nürnberg" von Helmut Häussler zu lesen. Weil dort der benötigte Wasserdruck und die Wassermenge nur unter immensen Kosten herzustellen gewesen wären, verkaufte man ihn 1796 an Zar Paul I. nach Sankt Petersburg.
1902 stellten die Nürnberger dann doch noch eine Kopie des Brunnens auf dem Hauptmarkt auf, wie das Foto zeigt. Kurz nach dem Besuch der Fünffingers, 1934, versetzten ihn die Nationalsozialisten auf den Marienplatz, den heutigen Willy-Brandt-Platz. Neptun und seine Tritonen behinderten laut Baureferat-Broschüre vermutlich ihre Aufmärsche.
Seit 1962 ist der Brunnen im Stadtpark zu finden, weil er der Straßenplanung am Marienplatz im Wege stand. Aufgrund seiner Architektur passe der Brunnen jedoch nicht ins Grüne, sagen Kritiker, er verlange nach Häuserfassaden im Hintergrund, um seine Wirkung entfalten zu können. Auch das eingelagerte Originalbrunnenbecken, der schmucke Steinkranz, müsse dem Denkmal wiedergegeben werden – im Stadtpark steht Neptun in einem flachen Betonbassin.
Immer wieder gab es Bestrebungen, den Brunnen auf seinen alten Platz am Hauptmarkt zurückzusetzen – etwa von den Altstadtfreunden oder 2010 von dem extra dafür gegründeten Verein "Neptunbrunnen zurück auf den Hauptmarkt". Damit sollte auch dem Stifterwillen Genüge getan werden. Bis heute steht der Neptunbrunnen allerdings im Stadtpark.
Und auch der Gänsemännchenbrunnen war den Fünffingers ein Foto wert. Damals war er noch auf dem Obstmarkt zu Hause, heute etwa auf Höhe des Restaurants Enchilada, direkt hinter der Frauenkirche. Der Brunnen von 1540, der einen Bauern mit zwei Gänsen unter dem Arm zeigt, ist einer der ältesten und meistkopierten Brunnen in Nürnberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte der Gänsemann hinter das Bürgerinformationszentrum am Rathausplatz.
Neben Hans-Sachs-Haus, Kaiserburg und dem Tiergarten im Luitpoldhain durfte bei dem Nürnberg-Trip von Frieda und Josef Fünffinger auch das Denkmal König Ludwigs II. im Stadtpark nicht fehlen. Auf der historischen Aufnahme aus dem Sommer 1931 ist das Ehepaar neben einer Bekannten vor dem imposanten Denkmal abgebildet.
Die rund vier Meter hohe Bronzefigur des Märchenprinzen steht auf einem Sockel und wird von zwei Putten flankiert, die Schilde mit den Wappen Bayerns und Nürnbergs im Arm halten. Die Statue wurde 1913 auf Betreiben eines Bürgervereins aufgestellt. Die veranschlagten 75 000 Mark für das Kunstwerk kamen aber erst kurz vor Scheitern des Projekts zusammen, als der Kronprinz Rupprecht als Schirmherr für das Denkmal gewonnen werden konnte.
Viel Zeit verbrachte Ludwig II. aber nicht im Stadtpark: Um Metall für die Herstellung von Munition zu gewinnen, schmolzen die Nationalsozialisten die Statue 1944 ein, erklärt das Haus der Bayerischen Geschichte auf seiner Internetseite.
"Von der Stadt angezogen gefühlt"
Die Fotos von den urlaubenden Eltern sind für Evelyn Krönert eine schöne Erinnerung. Dabei verdankt sie es dem Zufall, dass sie die Alben überhaupt besitzt. Denn die Familie wurde 1945 aus ihrem Haus in Eger vertrieben und konnte nur das Nötigste mitnehmen. Als der Vater später noch einmal zurückging, um seine Geige zu holen, gaben ihm die neuen Besitzer auch die Alben mit.
Die Fünffingers mitsamt der zehnjährigen Tochter verschlug es zunächst in die Oberpfalz. "Ich wollte aber immer nach Nürnberg, irgendwie habe ich mich von der Stadt angezogen gefühlt", sagt Evelyn Krönert heute. Erst fand sie eine Stelle hier, dann lernte sie ihren Mann kennen. "Wir sind heuer 60 Jahre miteinander verheiratet", sagt sie. Und auch die Eltern wohnten vor ihrem Tod noch einige Jahre in Nürnberg. In der Stadt, in der sie einst einen glücklichen Urlaub verbrachten.
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