Begutachtungstag im GNM: Sprechstunde für Privatsammler

15.11.2014, 20:02 Uhr
Textilexpertin Anja Kregeloh untersucht am Begutachtungstag des Germanischen Nationalmuseums ein Kleid aus Privatbesitz.

© dpa Textilexpertin Anja Kregeloh untersucht am Begutachtungstag des Germanischen Nationalmuseums ein Kleid aus Privatbesitz.

Fünfzig Meter lang steht die Schlange auf der Straße der Menschenrechte in Nürnberg. Es ist kurz vor zehn. Heute ist Begutachtungstag im Germanischen Nationalmuseum. Rund zweieinhalb Dutzend Museumsmitarbeiter prüfen kostenlos Skulpturen, Spielzeug, Schmuck und Möbel. Zweimal im Jahr informieren die Experten über Alter und kulturgeschichtliche Bedeutung der mitgebrachten Stücke aus Privatbesitz.

Siegfried Ortner steht mit seiner Frau Hella ganz vorne. Unter dem Arm trägt er drei Tapisserien - jede einen Meter hoch und zwei Meter lang. "Einer der Gobelins hing in einem Schloss in Frankreich", sagt Ortner. Ob das aber wirklich stimme, wisse er nicht. Die gewobenen Bilder hat er von seinem Onkel geerbt. Der Onkel, "Typ: Sammler", sei vergangene Woche gestorben. "Wir wüssten gern, ob sie echt sind", sagt das Ehepaar. "Wenn nicht, dann landen sie auf dem Sperrmüll."

Orter hat Glück, er kommt gleich dran. "Offiziell begutachten wir nur bis 13 Uhr", sagt Sonja Mißfeldt vom Germanischen Nationalmuseum. "Aber wir schicken keinen weg." Wer Bilder mitbringe, müsse jedoch auch Geduld im Gepäck haben - die Sachverständigen für Gemälde seien an Begutachtungstagen immer besonders lange beschäftigt.

Meist ideelle Werte

Selten entpuppt sich das mitgebrachte Kunstwerk als wahrer Schatz. Viele Objekte werden von ihren Eigentümern stark überschätzt, sagt Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbundes. "Die Stücke haben oft einen hohen ideellen Wert und eine eigene Biografie für die Leute." Der materielle Wert sei dagegen meist geringer als gehofft. "Die Zeiten, in denen man auf dem Dachboden einen echten Renoir finden konnte, sind lange vorbei."

Ob ein Stück einen Platz in einer Ausstellung finden könnte, entscheidet indes nicht allein der materielle Wert. Auch heute ist wieder etwas für das Germanische Nationalmuseum dabei: Eine Frau hatte sich in den Siebzigern im Italienurlaub für 80 Mark ein Kleid gekauft. "Der Erhaltungszustand ist gut, das Paisleymuster ist typisch für die Zeit", erklärt Textilexpertin Anja Kregeloh. Im Textil- und Schmuck-Bestand des Nürnberger Museums füllt das Kleid eine Lücke. Die Besitzerin hat es gleich dagelassen.

Hin und wieder gibt es auch größere Funde. Das Mainfränkische Museum in Würzburg hat in einer Kunstsprechstunde eine Madonna des berühmten Bildhauers Tilman Riemenschneider entdeckt. Das Museum leitete die fachgerechte Restaurierung des wertvollen Stückes ein und konnte die Dauerleihgabe aushandeln. Jahre später konnte das Museum die Figur endgültig erwerben.

Mittlerweile begutachtet Sammlungsleiterin Jutta Zander-Seidel die Tapisserien der Ortners. "Es handelt sich um maschinelle Arbeiten nach Bildvorlagen", erklärt sie. "Das ist so eine Richtung innerhalb der Kunst gewesen, die den Anschein erwecken wollte, dass die Stücke älter seien als sie sind."

Über den Wert der Objekte gibt man im Museum keine Auskunft. Kunstsachverständigen wolle man nicht ins Handwerk pfuschen. "Wir können aber Vergleiche zu anderen Wertgegenständen ziehen. Und wir geben auch gerne Adressen von Sachverständigen weiter, wenn jemand ein schriftliches Gutachten haben möchte, und wir sagen, ob das überhaupt lohnt", sagt Mißfeldt.

Wegwerfen würde Jutta Zander-Seidel die Tapisserien der Ortners nicht - auch wenn die Schloss-Geschichte des Onkels wohl eher Legende sei. Mit den Adressen zweier Auktionshäuser gehen die Ortners wieder nach Hause. Der Sperrmüll bleibt den drei Webarbeiten wohl erspart.

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