Biber erobern die Pegnitz in Nürnberg zurück

3.9.2014, 09:46 Uhr
Der Biber ist mit einer Länge bis zu 1,30 Meter das größte Nagetier in Europa und das zweitgrößte weltweit.

© Felix Heyder/dpa Der Biber ist mit einer Länge bis zu 1,30 Meter das größte Nagetier in Europa und das zweitgrößte weltweit.

Freitagnacht gegen elf Uhr: Entspannt hockt ein Biber nahe des U-Bahn-Ausgangs an der Wöhrder Wiese am Wegesrand. Bald werden Passanten auf das Tier aufmerksam, schnell bildet sich ein Halbkreis um den vermeintlich unbekannten Gast. Fahrradfahrer halten an, junge Nachtschwärmer zücken ihr Smartphone und fotografieren - mit Blitz. Einer fragt: „Was ist denn das?“

Das geschätzt 80 Zentimeter große Tier zeigt sich von dem Trubel unbeeindruckt, schaut nochmal in die Runde bevor es sich gemächlich abwendet und in die Pegnitz gleitet. Längst sind die Nager, die bis zu 1,30 Meter lang und 30 Kilo schwer werden können, in der Stadt wieder heimisch geworden.

Prominenteste Stelle

Nachtaktiv sind die Biber nach wie vor, aber scheu? Auf der kleinen Pegnitzinsel an jener U-Bahn-Station bekommt man sie öfter zu Gesicht. Ein Schild verweist hier auf ihre Aktivitäten, ein weiteres steht nahe der Satzinger Mühle. Die Tiere wissen, dass sie hier während der Dämmerungsphase ungestört fressen können. Höchstens Hunde stören manchmal den Biberfrieden - natürliche Feinde haben sie nicht. „Dass der Biber im urbanen Bereich sich fast auf Handdistanz nähert, darf nicht dazu verleiten, die wuchtigen Nager anzufassen“, warnt Wolfgang Dötsch von Bund Naturschutz (BN). Immerhin handelt es sich um Wildtiere.

Er nennt die Wiederansiedlung des Bibers in Nürnberg „eine Erfolgsgeschichte“. Weit über 100 Jahre galt er im hiesigen Raum als ausgestorben. In Bayern war 1867 der letzte Biber geschossen worden, nachdem er wegen der Gier nach dem dichten Fell und seinem Drüsensekret Bibergeil, dem eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt wurde und das man zudem als Heilmittel verwendete, ausgerottet worden war. Bayernweit leben heute geschätzt 12.000 Tiere. Sie stehen unter strengem Schutz und stammen von ausgewilderten Nagern aus Skandinavien und Russland ab.

Problemloses Zusammenleben

Seit nunmehr zehn Jahren ist der Biber auch in Nürnberg wieder zu Hause. Zur Freude der Naturschützer, deren oberstes Anliegen es ist, die heimische Tierwelt zu fördern. „Es ist für die Menschen wichtig zu sehen, dass im unmittelbaren Lebensumfeld eine große Wildtierart Fuß gefasst hat, mit der man problemlos zusammenleben kann“, sagt Dötsch.

Biber erobern die Pegnitz in Nürnberg zurück

© sör/PR

Erste Biberspuren wurden bereits 2003 im Pegnitztal Ost nahe des Wasserwerks in Hammer entdeckt, „aber damals war noch nicht klar, ob der Biber dauerhaft bleibt“, berichtet der BN-Geschäftsführer. Vor zehn Jahren lokalisierten Naturschützer das erste Revier; es kann aus einem Einzeltier bis zu maximal sieben Bibern bestehen. Wenn der Nachwuchs geschlechtsreif wird, muss er die Familie verlassen und zieht auf der Suche nach einer neuen Heimat oft kilometerweit. Nach Hammer folgten Mögeldorf, die Wöhrder Wiese, dann ging es durch die Altstadt weiter Richtung Westbad bis zur Stadtgrenze.

Im Pegnitztal und Rednitzgrund gibt es keine Holzburgen, sondern Erdbauten an der Böschung. Diese seien schwer erkennbar, „wir wissen hier von rund 20 Revieren“, so Dötsch. Genaue Zahlen können die Naturschützer aufgrund der versteckten Lebensweise der in der Regel scheuen Schwimmer nicht vorweisen.

Im Gegensatz zur Pegnitz sei das Rednitztal nicht durchgehend besiedelt. Dort gibt es am Hainberg eine Biberfamilie und bei Katzwang, ebenso am Bucher Landgraben im Norden der Stadt. Gerne unternehmen die Nager auch Ausflüge. So ließ sich im Juni am Zeltnerweiher ein Biber, der vermutlich vom Goldbach stammt, die Rinde von Apfelbäumen schmecken - und avancierte beim Stadtteilfest Gleißhammer am Zeltnerschloss zum Stargast.

Öko-Baumeister am Werk

Seine Wirkung als Landschaftsgestalter ist enorm. Biber erschaffen Feuchtökosysteme, in denen 100 Arten von Tieren wie Eisvogel, Schwarzstorch oder Plattbauch-Libelle leben. So weit zu den Vorteilen. Von Problemen, die mit der Rückkehr des Öko-Baumeisters in die Großstadt verbunden sind, wisse Dötsch nichts. Auf Nachfrage räumt er ein, dass sich immer wieder Bürger beschweren, dass die emsigen Nager die Grünanlagen schädigen. „Die Berechtigung Bäume zu fällen, wird eben gerne nur den Menschen zugeschrieben“, ergänzt er.

Biber erobern die Pegnitz in Nürnberg zurück

© Klaus-Dieter Schreiter

Biber sind Vegetarierer und fressen im Sommer Kräuter, Gräser und Wasserpflanzen; in den Herbst- und Wintermonaten ernähren sie sich bevorzugt von Weichholz-Gewächsen wie Pappeln, Weiden und Erlen. Deshalb haben sich vor knapp drei Jahren das Staatliche Wasserwirtschaftsamt, der Servicebetrieb Öffentlicher Raum (Sör) und der Bund Naturschutz zusammengetan und die Aktion „Wir schützen Baum und Biber“ gestartet. „Damit das Miteinander von Bürgern und Bibern funktioniert, sind wir diese Liaison eingegangen, um dem Biber den Verbleib mitten in der Innenstadt zu ermöglichen“, kommentiert Sör-Werkleiter Marco Daume.

Und so wurden entlang des Pegnitzufers vom Langseebad im Osten bis zum Henkerssteg in der Innenstadt rund 250 besonders wertvolle Bäume mit Maschendraht umwickelt - zum Schutz vor den kräftigen Biberzähnen. Die Materialkosten zahlt das Wasserwirtschaftsamt, die mit 500 Euro pro Jahr sehr überschaubar sind.

"Task Force" im Einsatz

Ausgeführt werden die Arbeiten von der sogenannten „Task Force“. Dahinter verbergen sich die beiden BN-Mitglieder Walter Siebert und Ludwig Wiedenhöfer, die das ehrenamtlich machen. Eine aufwendige Arbeit. „Der Maschendraht hält im Grunde ewig“, weiß Siebert. Aber mit Blick aufs Wachstum der Bäume müsse er von Zeit zu Zeit etwas gelockert werden, fährt er fort. Der Ruheständler kontrolliert alle ein bis zwei Wochen die betroffenen Bäume an der Wöhrder Wiese. „Hier haben wir ein Problem mit Vandalismus. Niemand möchte, dass sich jemand am verbogenen Draht verletzt.“

Zum Schutz der Bäume erweitern Sör-Mitarbeiter in der kalten Jahreszeit zudem den Speiseplan der Tiere: Sie servieren ihnen Bäume in Ufernähe, die an anderer Stelle gefällt werden mussten.

Weiter auf dem Vormarsch

Der Biber befindet sich weiter auf dem Vormarsch: „Wir haben festgestellt, dass er sich zunehmend im Pegnitztal-West wohl fühlt“, erzählt Klaus Winkelmair vom Wasserwirtschaftsamt. „Noch herrscht hier Ruhe an der Biberfront.“ Es gebe bislang keinen Handlungsbedarf, besondere Bäume oder Exemplare, die nahe an Rad- und Gehwegen stehen, zu schützen. Bei Zeiten werde die Maschendraht-Aktion sicher fortgesetzt. Die Zusammenarbeit mit der „Task Force“ funktioniere bestens und sei unkompliziert, lobt der stellvertretende Behördenleiter.

BN-Geschäftsführer Wolfgang Dötsch hofft, dass die Erfolgsgeschichte weitergeht und Meister Bockert, wie man den Biber im Volksmund nennt, an den Reichswaldbächen Fuß fasst. Dötsch: „Das Potenzial ist längst noch nicht ausgereizt.“

Im Rahmen der Stadt(ver)-führungen bietet der BN zwei Führungen an:

„Mein lieber Biber, das ist Artenschutz!“ am 26. September (16/17 Uhr) und
„Der Biber ist wieder da - Spurensuche an der Wöhrder Wiese“ am 27. September (15/16.30 Uhr).

Verwandte Themen


Keine Kommentare