Blick hinter die Kulissen beim Zirkus Flic Flac

12.1.2012, 07:50 Uhr
Blick hinter die Kulissen beim Zirkus Flic Flac

© Uwe Niklas

Dass die Schnittmenge mit der heutigen Realität in einem modernen Zirkus gen null geht, zeigt ein Besuch hinter den Kulissen des Zirkus Flic Flac, der momentan auf dem Volksfestplatz gastiert. „Wohnwagen wollen Sie sehen?!“ entfährt es Lothar Kastein, dem Direktor, am Telefon amüsiert. „Unsere Künstler wohnen alle im Hotel!“ Ach so? Naja, dann wenigstens zugucken beim Proben? „Kommen Sie einfach und schauen sich um, dann sehen Sie schon, was hier passiert.“

Zwischen der Nachmittagsvorstellung und der am Abend sind knapp eineinhalb Stunden Pause. „Proben? Die Artisten machen zwei Vorstellungen am Tag. Wenn da noch geprobt würde zwischendurch hätten die schlichtweg keine Kraft mehr“, erklärt Hubertus Wawra. Der „Master of Hellfire“ (37) führt seit vielen Jahren als Moderator, Clown und Chef-Zündler durch das Programm. Wenn er nicht gerade mit seinem „Baggerballett“ durch die Welt und das Fernsehen tourt, Comedy-Preise einheimst oder Weltrekorde im Feuerschlucken aufstellt.

Die Zeit zwischen den Shows nutzt Wawra, um die Zutaten seiner Pyro-Darbietung neu zu präparieren. Währenddessen trudeln nach und nach vereinzelt andere Artisten ein – es tut kaum Not, früher als fünf Minuten vor dem Auftritt zu kommen. Es gilt lediglich, sich aufzuwärmen, hier und da die Schminke zu renovieren. Lieber etwas essen. Oder entspannen. Eine Gruppe junger ungarischer Turner sitzt um einen Tisch, die Gesichter weiß, in den Händen iPads, Kopfhörer auf den Ohren. Von Aufregung darüber, gleich wieder in halsbrecherischer Art und Weise Knochenbrüche zu riskieren, keine Spur.

Hubertus Wawra und sein Lieblings-Spielzeug, der Flammenwerfer.

Hubertus Wawra und sein Lieblings-Spielzeug, der Flammenwerfer. © Uwe Niklas

Auch der australische Komiker Justin Case, mit 50 Jahren ältestes Mitglied des Ensembles, dehnt nur ein bisschen vor sich hin. Dabei wird er nachher wieder auf einem 15 Zentimeter-Miniaturfahrrad durch einen brennenden Reifen radeln. Wie macht er das bloß? „It hurts“, lacht er lediglich. Mit 22 ging der ehemalige Malerei-Student auf eine französische Zirkusschule. „Zirkus verbindet alles, was ich liebe – Sport, Drama und Kunst. Solange die Leute über mich lachen, mache ich weiter“, sagt Justin. Schlüpft aus den Crocs in die Gymnastikschläppchen und radelt auf die Bühne. Die Leute lachen.

Unfälle gehören eben einfach dazu

Hinter, neben und in der Manege tut jeder, was er tun muss. Während die Schlangenfrauen ihre Körper in schier unvorstellbare Positionen verrenken, halten die Motorrad-Künstler ein Nickerchen auf dem Teppich. Die Breakdance-Truppe übt ein paar Sprünge und hat viel Spaß beim Posen für den Fotografen.

Alex Xelo (33), Bamberger Diabolo-Spieler und selbsternanntes Multitalent, das „leider mit zwei rechten Händen zur Welt gekommen ist“, spricht von Rückzug in die Eigentumswohnung und Eröffnung eines Varietés in Würzburg. „Neun Jahre auf Tour sind einfach genug“. Dass er neben singen, malen, fotografieren, renovieren und trainieren noch die Zeit für Flic Flac findet, nimmt ihn nicht weiter Wunder: „Viele können manches ein bisschen. Ich kann alles gut.“

Sein Metier beherrscht auch Hubertus Wawra zweifelsohne. Vor Unfällen gefeit ist man dennoch nie. „Mir ist eine Bombe in der Hand explodiert, weil ich Turnschuhe anhatte, die sich über den Teppich elektrostatisch aufgeladen haben. Da hat’s gefunkt.“ Und den Zeigefinger 16-mal gebrochen.

Unfälle gehören hier wie in vielen anderen Berufen dazu. Erst kurz vor Silvester stürzte eine Artistin während der Show vom Trapez. Dass die Show im Anschluss fortgesetzt wurde, stieß bei vielen Zuschauern auf Unverständnis. „Es sind hier schon viel schlimmere Unfälle passiert. Natürlich sind dann alle nachdenklich für zwei, drei Tage und überlegen sich, warum zur Hölle sie das eigentlich tun.“ Keiner der Artisten hier handelt leichtsinnig. Durch und durch Profi, weiß jeder ganz genau, was er tut. Auch wenn manches leicht- oder gar wahnsinnig erscheint. Show ist Show. Job ist Job.

Die entspannt-gelangweilte Haltung hinter der Bühne ist wie weggeblasen, sobald Anpacken angesagt ist. Alle helfen zusammen, wenn die Trapeze, das Todesrad oder zum Schluss die Gitterkugel der Motorradfahrer aufgebaut werden. Ein unachtsamer Fehler kann schlimmste Folgen haben. Während Hubertus, dem längst alle Zuschauerherzen zugeflogen sind, vorne trommelnd jongliert und auf thüringisch rappt, werden hinten in einer einzigen fließenden Bewegung Sicherungen und Rampen für den Auftritt der Motorrad-Künstler aufgebaut. Auch diesmal geht bei diesen Tricks alles gut.

Auch diesmal war der Fast-Absturz vom Hochseil nur vorgetäuscht. Auch diesmal gelingt die Show von Jon Young am „Chinese Pole“, Ersatz für die verunglückte Artistin, großartig – eine Frau im Publikum lacht so sehr, dass hinter der Bühne alle mitlachen müssen. Schlussapplaus. Alle auf die Bühne. Standing Ovations. Und jetzt? „Jetzt gehen dann viele noch gemeinsam was essen,“ sagt der Master of Hellfire — ist also doch ein bisschen was dran an der romantischen Vorstellung des Lebens der dummen Augustine. Ein Glück!

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