Der Egidienplatz: Ein Ort der Architektur und Stadtgeschichte

6.1.2020, 16:07 Uhr
Der Egidienplatz mit dem Pellerhaus, dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal, dem Imhoff-Plattner’schen Haus, der Egidienkirche und dem Willstätter-Gymnasium (von links). Diese Aufnahme – mit echtem Schnee, aber falschem Nachthimmel – stammt von 1913.

© Hermann Martin (Sammlung Boris Leuthold) Der Egidienplatz mit dem Pellerhaus, dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal, dem Imhoff-Plattner’schen Haus, der Egidienkirche und dem Willstätter-Gymnasium (von links). Diese Aufnahme – mit echtem Schnee, aber falschem Nachthimmel – stammt von 1913.

"War ganz schön was los auf Nürnbergs Straßen in jenen Winternächten vor gut 100 Jahren!", werden Sie jetzt vielleicht denken. Sie ahnen es: Auf unserer Ansichtskarte von 1913 hat jemand fleißig retuschiert und mit flinkem Pinsel im wahrsten Sinne des Wortes den Tag zur Nacht gemacht. Wer sich ein wenig mit den Tücken des Fotografierens bei Dunkelheit auskennt, wird für diesen Kunstgriff Verständnis haben.

Der Egidienplatz ist ein Ort, an dem sich Nürnberger Stadt- und Architekturgeschichte auf engem Raum verdichten. Alle Gebäude und Monumente auf unserem historischen und unserem aktuellen Bild standen und stehen unter Denkmalschutz, und das, obwohl hier nach den verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs fast alles restauriert oder komplett neu gebaut werden musste. Das war indes nicht das erste Unglück, dem der Egidienplatz und seine Bauten ihre heutige Gestalt verdanken.

Am Pellerhaus scheiden sich die Geister

Ganz links auf den beiden Ansichten steht das Pellerhaus, an dessen aktuellem Erscheinungsbild sich die Geister scheiden. Erbauen ließ es der sagenhaft reiche Kaufmann Martin Peller zwischen 1602 und 1605 nach Planung von Stadtbaumeister Jakob Wolff dem Älteren und Zimmermeister Peter Carl.

Nach dem Luftangriff am 2. Januar 1945 stürzte das Vorderhaus am folgenden Tag mitsamt seiner prunkvollen Renaissance-Fassade in sich zusammen. Unter Einbeziehung des erhaltenen Erdgeschosses ersetzten es die Architekten Fritz und Walter Mayer ab 1955 durch einen Neubau mit Rasterfassade, die von einer auffälligen Verdachung aus Tonnengewölben auf filigranen Stützen überfangen wird. Zwischen 2008 und 2018 rekonstruierten die Altstadtfreunde mit großem Aufwand und finanziert durch Spenden die amputierten oberen Teile der Hoffronten.

Der Egidienplatz mit dem Pellerhaus, dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal, dem Imhoff-Plattner’schen Haus, der Egidienkirche und dem Willstätter-Gymnasium (von links). Diese Ansicht zeigt die ungeschminkte Realität 2019.

Der Egidienplatz mit dem Pellerhaus, dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal, dem Imhoff-Plattner’schen Haus, der Egidienkirche und dem Willstätter-Gymnasium (von links). Diese Ansicht zeigt die ungeschminkte Realität 2019. © Sebastian Gulden

Schon lange vor dem Pellerhaus bekam das benachbarte Imhoff-Platner’sche Anwesen rechts daneben eine Generalüberholung, und das gleich zweimal innerhalb von gut 100 Jahren: erst 1828 im Sinne des Romantischen Historismus durch Karl Alexander Heideloff, der die schlichte Fassade zum Platz durch eine neugotische Gliederung und einen Altan veredelte.

1937 und 1938 legte dann die nationalsozialistische Stadtverwaltung Hand an die Fassade und ließ Heideloffs Zutaten nach Entwurf von Julius Lincke durch eine pseudohistorische Sparversion des Zustandes ersetzen, den Johann Ulrich Krauss 1682 in einem Kupferstich festgehalten hatte. Seit dem Wiederaufbau in den 1950er Jahren, ebenfalls nach Plänen der Mayers, bildet das Imhoff-Platner’sche Anwesen eine bauliche Einheit mit dem Pellerhaus.

Den östlichen Rand des Platzes dominiert die Egidienkirche, vom 12. Jahrhundert bis zur Reformation geistliches Zentrum einer der bedeutendsten Abteien des Benediktinerordens im fränkischen Raum. Nur Teile der Umfassungsmauern, die lauschige Tetzel- und die Wolfgangskapelle sind heute noch aus der Klosterzeit erhalten.

Die prunkvolle Doppelturmfassade im Stil des Spätbarock entstand erst 1711 bis 1718 nach Entwürfen von Johann und Gottlieb Trost, nachdem ein Brand die im Kern romanische Basilika 1696 zu großen Teilen vernichtet hatte. Die stämmigen Türme und die Fassaden widerstanden den Brandbomben des Zweiten Weltkriegs, während das zerstörte Innere bis 1962 nach Plänen von Kurt Höfler und Rudo Göschel in veränderter Form wiederhergestellt wurde.

Wilhelm I. und sein Ross haben überlebt

Johann Trost war es auch, dem wir die von 1697 bis 1699 erbaute vornehme Barockfassade des früheren Aegidianums am rechten Bildrand verdanken: Philipp Melanchthon, Joachim Camerarius und Helius Eobanus Hessus hatten die Schule 1526 auf Bitten des Nürnberger Rates in den Räumen des aufgelösten Egidienklosters eingerichtet. Heute nutzt das Willstätter-Gymnasium das 1948 wiederaufgebaute Haus, doch erinnert das 1826 vor dem Hauptportal enthüllte Bronzestandbild Melanchthons aus der Werkstatt des Jakob Daniel Burgschmiet noch heute an die Ursprünge der Einrichtung.

Burgschmiets Enkel Ernst Lenz war es dann, der 79 Jahre später nach Entwürfen von Syrius Eberle und Wilhelm von Ruemann das gewaltige Reiterstandbild des deutschen Kaisers Wilhelm I. goss, das bis heute vor dem Pellerhaus thront. Wie durch ein Wunder – die genauen Umstände liegen bis heute im Dunkeln – entgingen Ross und Reiter während des Zweiten Weltkriegs der "Metallspende des deutschen Volkes", durch die das NS-Regime Rohstoffe für die Rüstungsindustrie beschaffen wollte.

Nicht nur seine Bauten, auch der Egidienplatz selbst belegt eindrücklich, wie stark sich die Stadt und die Nutzung ihrer Plätze im vergangenen Jahrhundert gewandelt haben: Wo sich einst eine freie, aber bereits fast völlig gepflasterte Fläche erstreckte, parken heute Blechlawinen – und manchmal auch ein Nashorn. Die Zukunft wird zeigen, wie die Stadt und ihre Bewohner damit umgehen werden. In diesem Sinne: Auf ein gutes neues Jahr!

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