Der Nürnberger Hauptbahnhof war einst prachtvoller Mittelpunkt
30.10.2014, 15:29 UhrMenschenströme in den Gängen, Ramschläden und Fast-Food-Buden, dazwischen durchdringende Lautsprecherdurchsagen: Das alles gehört zum Nürnberger Hauptbahnhof wie die Züge und Gleise selbst. Doch das war nicht immer so: Wie gediegen ging es dort vor über hundert Jahren zu!
Kurz nach 1900 konnte man in den vornehmen Bahnhofsläden vor allem Tabak, Pralinen und Reiselektüre kaufen. Im erlesenen Jugendstilsaal nahmen Fahrgäste und Einheimische Ochsenmaulsalat und Roastbeef zu sich. Durch die hohen Hallen flanierten Menschen und bestaunten die Architektur.
Es gab viel zu sehen im Hauptbahnhof, der 1906 nach sechs Jahren Bauzeit eröffnet wurde. Um den Verkehr während der Arbeiten aufrechtzuerhalten, legten die Planer den neuen Bahnhof kurzerhand um das Gebäude des alten. Als der Neubau so weit funktionstüchtig war, konnte das Vorgängergebäude abgerissen werden.
Auf einem Areal von 10 180 Quadratmetern erstreckte sich nun das neue dreiflügelige Empfangsgebäude im Neo-Renaissance-Stil – der alte Centralbahnhof an derselben Stelle hatte es nur auf knapp ein Fünftel der Fläche gebracht.
Eine beeindruckende Kuppel thronte auf der Mittelhalle, deren Wände aus Glas waren. Allerdings konnten sich nicht alle Bürger mit diesem kostspieligen Blickfang, der immerhin eine halbe Million Mark verschlang, anfreunden. Unnötig, solche Extrakosten! Überhaupt habe sich der alte Bahnhof mit seiner gotischen Architektur viel besser ins mittelalterliche Stadtbild eingefügt, monierte eine Tageszeitung.
Zur Eröffnung strömten dennoch Tausende Nürnberger an den Frauentorgraben, um den Neubau zu bestaunen. 4,1 Millionen Mark kostete allein das Empfangsgebäude aus Ost-, Mittel- und Westhalle, die Architekt Karl Gustav Ritter mit einer Querhalle verbunden hatte. Eine stolze Summe, wenn man bedenkt, dass ein Straßenbahnschaffner damals mit 100 Mark im Monat nach Hause ging.
Der Neubau war jedoch nötig geworden, weil der Centralbahnhof aus allen Nähten platzte. Nachdem der „Adler“ 1835 die erste deutsche Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach Fürth bewältigt hatte, wuchsen neue Bahnstrecken wie Pilze aus dem Boden. Je mehr Orte erreicht werden konnten, desto mehr Menschen nutzten das neue Verkehrsmittel Bahn. Es sollte auch nur bis 1927 dauern, bis der Hauptbahnhof zum ersten Mal erweitert werden musste: Das Südportal als zweiter Ein- und Ausgang kam hinzu. Die Pracht hielt aber nicht
lange an: Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof fast komplett zerstört. Bis auf den Jugendstilsaal waren alle Räume im Empfangsgebäude, Tunnel und Gleisanlagen den Bomben zum Opfer gefallen.
Weil die Mittel fehlten, ging der Wiederaufbau nur schleppend voran. Erst 1954 konnten Mittel-, Quer- und Westhalle repariert werden. Die vieldiskutierte Kuppel zierte nun ein schlichtes Dach. Besonders im Bahnhofsinneren wurde der Wandel der Zeit sichtbar. In die Westhalle zog ein „Aktualitätenkino“ ein, wo ohne Unterbrechung Wochenschauen und Kurzfilme liefen. NZ-Leserin Monika Wieprecht ging damals öfter mit ihrem Vater ins „Aki“. „Eine Karte kostete nur 50 Pfennige. Und die Filme waren meist in Schwarz-Weiß“, erinnert sich die 70-Jährige.
Im Mai 1954 schreckte eine Bombenexplosion im „Aki“ die Bevölkerung auf. Ein 18 Jahre alter Schüler aus Nürnberg brachte einen selbst gebastelten Sprengkörper mit in die Vorstellung, der dann in der Tasche unter seinem Sitz „unbeabsichtigt“ detonierte. In einer Zeitung war gar von einer „Höllenmaschine“ zu lesen, Polizeipräsident Leo Stahl sprach von einem „Dummerjungenstreich.“
Doch auch außerhalb des Kinos war es im Hauptbahnhof in den frühen 50ern recht interessant, erzählt Monika Wieprecht. Die amerikanischen Soldaten flanierten dort mit ihren deutschen Freundinnen herum. „Meine Mutter nannte sie ,Amischicksen‘, weil sie ihre Haare blondierten und roten Lippenstift trugen.“ Auch Kriegsversehrte mit nur einem Arm oder Bein hat Wieprecht dort gesehen.
In den 50er und 60er Jahren wurde dem Bahnhof eine Verjüngungskur verordnet: Die Stuckdecken und verschnörkelten Gesimse verschwanden, Kanten und Linien bestimmten nun das Bild. Statt der kleinen Fenster und Türen ließen nun großflächige Glaswände mit Pendeltüren mehr Licht ins düstere Innere.
Die hässlichen Holzbuden, die nach dem Krieg errichtet wurden, wichen Ladengeschäften. In den 70er Jahren bekam Nürnberg seine U-Bahn. Die sollte unter der Mittelhalle hindurchfahren – und so für die Reisenden
die kürzestmögliche Verbindung zwischen Zug und U-Bahn ermöglichen. Weil die Kuppel zu schwer war, musste sie durch ein kupfergedecktes Tonnengewölbe ersetzt werden, das auch heute noch die Halle ziert.
Ende der 80er Jahre zogen Feinkostabteilung, Metzgerei, Bäcker und Pressezentrum ein. Außerdem entstanden zwischen Ost- und Mittelhalle neue Ladenzeilen. In den späten 90ern kam das Reisezentrum in den Jugendstilsaal. An das gediegene Ambiente der Jahrhundertwende erinnern nur noch die Wandvertäfelung und einige Glasmosaike.
1996 wurden die Umbau-Sünden der Nachkriegszeit vollständig revidiert, der Bahnhof erhielt sein heutiges Gesicht. Glas ersetzte die geschlossenen Dächer der Längshallen, um Tageslicht in das Empfangsgebäude zu bringen. Ein Zwischengeschoss mit Galerie und Ladengeschäften entstand, in das Kellergeschoss führten nun Rolltreppen. 1999 hat dann auch für das „Aki“, in dem in den letzten Jahren nur noch Softpornos liefen, die letzte Stunde geschlagen. Heute ist dort der Club „Indabahn“ untergebracht.
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