Die Sprache der Integration

06.02.2017, 17:00 Uhr
Die Sprache der Integration

© Lisa Vogel

Wenn Atalie Gerhard über den Flur der Gemeinschaftsunterkunft geht, wird sie freudig von allen Seiten begrüßt. Die Frauen drücken ihr Küsschen auf die Wange, die Kinder erzählen von ihrem Schultag. Die Bewohner in der Witschelstraße freuen sich über ihre regelmäßigen Besuche. „Dreimal die Woche komme ich hierher und bin Ansprechpartnerin für alles Mögliche“, sagt die 23-Jährige.

Bereits seit dem Frühjahr 2016 engagiert sie sich ehrenamtlich und hilft Geflüchteten dabei, in Deutschland Fuß zu fassen. Unterstützt wird sie von der Arbeiterwohlfahrt (Awo), die ihr Engagement betreut und organisatorischen Beistand leistet.

Hilfe bekommt die Awo dabei von der „Aktion Mensch“. „Ich will an der Willkommenskultur teilhaben. Ich mache das gerne, vor allem jetzt, wo ich mit meinem Studium fertig bin“, sagt sie.

Seitdem Atalie Gerhard ihren Masterabschluss in der Tasche hat, ist das Ehrenamt für sie nahezu wie ein Vollzeitjob. Gemeinsam mit ihrer Mutter Bianca hilft sie den Männern und Frauen in der Unterkunft dabei, Wohnungen zu finden, Anträge zu stellen und sich durch die deutsche Bürokratie zu manövrieren.

Doch das Schulsystem und die Sprache stehen im Vordergrund. Vor allem zwei Projekte liegen der jungen Ehrenamtlichen am Herzen: Zwei Mädchen aus der Unterkunft haben es schon in die Regelklasse einer Realschule geschafft. Die beiden Sechstklässlerinnen will sie möglichst bis zu ihrem Abschluss begleiten.

Die zweite Herzensangelegenheit ist der 18-jährige Omran. Kurz vor seinem Abitur musste er seine Heimat verlassen und ist ohne Abschluss nach Deutschland gekommen. Hier will er ab Februar auf die Fachoberschule gehen und das Fachabi ablegen. „Damit er das schafft, muss er nur das Deutschniveau erreichen, das er für die Schule braucht“, sagt Atalie mit einem Seitenblick auf ihren Schüler.

Zum heutigen Kurs sind Omran und ein paar Frauen aus der Unterkunft erschienen. Die Teilnahme ist freiwillig, trotzdem kommen sie regelmäßig. Die Deutschschülerinnen kommen aus Syrien und der Ukraine, haben eine Berufsausbildung oder Uni-Abschlüsse. Doch um hier Fuß fassen zu können, müssen sie ihre Sprachkenntnisse ausbauen.

Dazu lesen sie heute mit Bianca Gerhard einen Zeitungsartikel laut vor. Jedes neue Wort wird markiert und die Ehrenamtliche umschreibt es im Anschluss mit anderen Worten oder gibt den Teilnehmerinnen die englische Übersetzung.

Für ihren Einsatz hat Atalie Gerhard den Ehrenamtsnachweis des bayerischen Sozialministeriums erhalten. „Die Urkunde bedeutet mir viel“, sagt sie, „es ist mir wichtig, nicht nur theoretische Artikel zu schreiben, sondern auch humanistische Werte in mein Leben zu integrieren. Das Ehrenamt gehört zu meiner Persönlichkeit.“

Während der Arbeit in der Witschelstraße seien mittlerweile richtige Freundschaften entstanden, sagt sie. Die regelmäßigen Besuche montags, mittwochs und freitags sind sowohl für Atalie wie auch für ihre Schützlinge aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.