„Ein Stuhl steht auf dem Tisch“

25.8.2010, 00:00 Uhr
„Ein Stuhl steht auf dem Tisch“

© Romir

Zwölf Personen starren auf einen Stuhl, der auf dem Tisch steht. Der Stuhl tut gar nichts, sondern steht einfach nur da rum – dennoch versetzt er den Kreis der Denker vom „Philosophischen Nachtcafé“ in immer heftigere Diskussionen. Die Frage, um die sich alles dreht, lautet: Wie erklärt man, dass die Aussage „Ein Stuhl steht auf dem Tisch“ wahr ist?

„Es könnte ja auch sein, dass ich den Stuhl nur träume“, sinniert Dozent Klaus Greipel.

„Wenn Du nur träumst, kannst Du ja auch gefahrlos aus dem Fenster springen“, kontert Wolfgang Wagner.

„Aber ich träume nicht, dass ich so blöde Anweisungen befolge“, erwidert Greipel und fixiert erneut den Stuhl, der weiterhin nicht zu erkennen gibt, ob seine stille Existenz nun wahr ist oder nicht.

„Wahrheit ist doch subjektiv“, meint einer. „Die eine Frau sagt: Der Mann ist schön – die andere sagt, er ist eine Flasche“, führt er aus. „Das halte ich jetzt nicht für so ein Problem“, sagt Greipel und erntet damit wieder Lacher.

Man sieht: Es geht gleichzeitig konzentriert und ernsthaft als auch schräg und lustig beim Philosophischen Nachtcafé zu. Es findet immer donnerstags um 19.30Uhr im Kulturladen Röthenbach statt. Hierher kommt ein bunter Haufen von Menschen, die eines vereint: Ihre Begeisterung für die Weisheit und die großen Denker des Abendlandes. Die weiblichen Mitglieder machen dabei etwa ein Drittel aus.

„Ich war eigentlich auf der Suche nach einem Bücherkreis“, erzählt Cornelia Feigel. „Aber so was gab es bei uns in Roth nicht – und dann bin ich zufällig auf das hier gestoßen.“ Es mache ihr sehr viel Spaß, weil hier eine schöne Disziplin herrsche und die Leute nicht zum Streiten, sondern wirklich zum Diskutieren und zum Lernen kommen.

„Was wissen wir?“

„Ich habe mich schon immer für Philosophie interessiert. Für die Frage: Was können wir wissen?“, meint Rentner Erich Straub. „Als 20-Jähriger habe ich deshalb Kants ,Kritik der reinen Vernunft‘ durchgelesen – und ich muss sagen: Es war sauanstrengend! Und während meiner Berufszeit – ich war Schichtarbeiter bei der Post – hatte ich leider keine Zeit dafür.“ Darum sei er jetzt umso lieber hier. „Wenn einer gut erklärt ist das viel besser, als die Philosophen im Original zu lesen – denn die schreiben oft recht schwierig.“

Im Ruf, die verschwurbelsten Sätze zu verfassen, steht übrigens Aristoteles. Ein Beispiel aus seiner Wahrheitslehre: „Von etwas, das ist, zu sagen, dass es nicht ist, oder von etwas, das nicht ist, dass es ist, ist falsch, während von etwas, das ist, zu sagen, dass es ist, oder von etwas, das nicht ist, dass es nicht ist, wahr ist.“ Puh – aber auch das wird an diesem Abend aufgedröselt und erklärt. „Philosophie verständlich für Jedermann“ ist das Motto.

Als Referenten wechseln sich Mitglieder des Kreises ab: Heute ist es Klaus Greipel, beruflich Dozent für Mathematik. „Ich hab auch mal Philosophie studiert“, erinnert er sich, „aber das war nur Schmalspur, und ich finde so richtig lernt man Philosophie erst, wenn man sie diskutiert.“ Deshalb seien bei seinen Vorträgen Gespräche ausdrücklich erwünscht – „da vertrocknet keiner auf seinen Fragen“.

Seinen größten Publikumserfolg verdankt das Nachtcafé übrigens einer Panne in einer Terminankündigung: Ein besonders findiger Journalist hatte eine Veranstaltung über den Philosophen Jürgen Habermas als Abend mit dem Philosophen Jürgen Habermas angekündigt. Die Folge war eine Verdreifachung der Besucherzahl und ein Abend, an den man sich noch lange erinnert: „Ich dachte, alle wären enttäuscht, dass nur ich rede“, lacht Wolfgang Wagner. „Aber viele sind dann sogar wiedergekommen.“

Wie André van Buren, der inzwischen Stammgast ist: „Am meisten lerne ich aus meinen eigenen Vorträgen“, meint er. „Ich denke jedes Mal – 90 Minuten krieg’ ich nie voll – und dann galoppiert die Zeit und man muss doch kürzen. Außerdem scheine ich in letzter Zeit irgendwie auf Religionsphilosophie abonniert.“ Die Themen suchen sich die Referenten zusammen mit Organisator Wolfgang Wagner.

So entsteht eine bunte Mischung, bei der jedoch eines sicher ist: Nach gut 90 Minuten ist genug gedacht und es

geht zum gemütlichen Teil in die Kneipe des Kulturladens nebenan, wo die Wahrheit im Wein und im kühlen Blonden liegt. „Nein, die Wahrheit, die erreichen wir hier nicht – die entwischt uns immer“, meint Erich Straub. „Aber eine lebendige, nette Runde – die finden wir hier schon!“

Das nächste „Philosophische Nachtcafé“ findet nach der Sommerpause am 23.September zum Thema „Jüdische Salons“ statt. Beginn ist um 19.30 Uhr im Kulturladen Röthenbach, Röthenbacher Hauptstraße 74. Weitere Infos unter 523874