Eine Diagnose wie ein Blitzschlag
08.07.2008, 00:00 Uhr
Anfangs knarzen die Stühle noch, es wird gemurmelt und gekichert. Doch die Nebengeräusche verstummen bald. Zu sehr fesselt das Spiel auf der Bühne die Neunt- und Elftklässler aus der Löhe-Schule, dem Labenwolf-Gymnasium, der Bertolt-Brecht-Gesamtschule und der Maria-Ward-Schule.
Es sind sehr traurige Geschichten, die die Jugendlichen zu sehen bekommen. Drei Menschen trifft die Diagnose Krebs wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Der 25-jährige Radprofi Daniel Sonderecker hat als Leistungssportler immer gesund gelebt und kann nicht verstehen, wieso ausgerechnet er krank wird. Die 42-jährige Nicole weiß nicht, wie sie die Diagnose Brustkrebs ihren Kindern beibringen soll, der erst sechsjährigen Nurja und dem pubertierenden Michael. Zudem leidet sie darunter, dass ihr Ehemann Oliver ständig auf Geschäftsterminen herumgeistert und ihr nicht zur Seite steht.
Die selbstbewusste Architektin Ruth hat dagegen einen fürsorglichen Mann, der ihr alles abnimmt und es ihr doch nicht recht machen kann - sie fühlt sich entmündigt und eingeengt. Das Stück versucht, die ganze Bandbreite der Probleme abzudecken, die die Diagnose bereitet: Unsensible Ärzte, unsichere Freunde, nutzlose Ratschläge, leidvolle Therapien.
Eine Stunde lang haben die vier Schauspieler von «Knotenpunkt» (Agnes Krähenbühl, Anna Maria Tschopp, Flavio Dal Molin, Sören Ehlers), die allesamt in mehreren Rollen zu sehen sind, das Heft in der Hand, dann dürfen die Schüler übernehmen. Moderatorin Franziska Zeller fragt sie, was ihnen nicht passt.
Gerade die Entscheidung Nicoles, der kleinen Nurja nichts von der Krankheit zu erzählen, ruft Widerspruch hervor. «Ich finde es nicht richtig, dass das kleine Kind ausgeschlossen wird», bemängelt eine Schülerin - und steht wenig später prompt selbst auf der Bühne, muss die Rolle der Mutter übernehmen und ihrem Kind beibringen, dass sie Krebs hat und vielleicht bald stirbt. Leicht ist das nicht mal im Theaterspiel, aber dennoch, so die übereinstimmende Meinung von Schülern und Ensemble - auch Kinder dürfen vor schwierigen Wahrheiten nicht geschützt werden.
Manche der Schülerinnen wiederum schützen sich selbst, in dem sie die Aula mit Tränen in den Augen verlassen - ihnen geht das Gezeigte zu sehr an die Nieren. «Wir haben aber aufgepasst, dass da keiner außen alleine bleibt», sagt Malte Hahn, Diakon und Sozialpädagoge im Hospiz-Team Nürnberg, der das Schulprojekt im Rahmen von «Endlich leben» organisiert.
Für die sechs Klassen aus den vier genannten Schulen war das Theaterstück der Auftakt zu einer Woche, in der es auch weiterhin um die Endlichkeit des Lebens gehen wird. Die Schüler werden die Palliativstation des Klinikums, ein Hospiz, ein Pflegeheim und einen Friedhof besuchen. Die 17-jährige Melanie Humpenöder vom Labenwolf-Gymnasium hält es für richtig, dass dieses ernste Thema in diesen Tagen auf dem Stundenplan steht, und sie fand auch das Theaterstück «ziemlich gut». «Mir ist aufgefallen, dass die Schauspieler das Wort ,Krebs‘ kaum verwendet haben», sagt Melanie. Sie glaubt, dass auch das künstlerisch gewollt war: «Es ist so ein Tabuthema, dass man den Namen der Krankheit dann auch nicht aussprechen darf.»
Für ihre Figuren hat die Gruppe «Knotenpunkt», die seit 1995 existiert und in ihren Impro-Theaterstücken durchweg existenzielle Themen behandelt, einen unterschiedlichen Krankheitsverlauf vorgesehen. Ruth stirbt, organisiert vorher aber noch eine Abschiedsparty. Nicole stabilisiert sich und denkt an Scheidung. Und der Radprofi wird geheilt. «Gehen Sie raus und leben Sie», sagt sein Arzt.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen