Demonstration im Villenviertel

Erlenstegen: Linker Protest gegen "Krisen-Profiteure"

Wolfgang Heilig-Achneck

Lokalredaktion

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3.7.2021, 19:05 Uhr
Die Revolution rückt näher - mit Rädern und Bollerwagen: Vom Fenster aus verfolgen Anwohner den Vorbeimarsch des Protestzugs durch die beschaulichen Wohnstraßen in Erlenstegen.

© NNZ Die Revolution rückt näher - mit Rädern und Bollerwagen: Vom Fenster aus verfolgen Anwohner den Vorbeimarsch des Protestzugs durch die beschaulichen Wohnstraßen in Erlenstegen.

Das hat es, soweit bekannt, noch nie gegeben: Statt vor viel Publikum in der belebten Innenstadt zu demonstrieren, trafen sich Mitglieder verschiedener linker Gruppen zu einem Protestmarsch durch die kaum belebten Villenstraßen in Erlenstegen. Motto: "Besuchen wir die Profiteure von Krise und Kapitalismus!"

Die Initiatoren traten im Namen eines Zusammenschlusses auf, in dem unter dem Namen "Krisenbündnis Nürnberg" verschiedene Initiativen den Schulterschluss probten - unter ihnen die "Prolos" und die Falken sowie Mitglieder des autonomen Spektrums. Rund 100 Anhängerinnen und Anhänger beteiligten sich an dem Umzug mit verschiedenen Stationen und Kundgebungen.

Verschiedene Sprecher prangerten unter anderem die Ungleichheit der Lebensverhältnisse an, die sich gerade in der Pandemie-Situation auswirkt: In engen Wohnungen und dicht bebauten Quartieren konnte sich das Virus bekanntlich leichter verbreiten als dort, wo mit großen Grundstücken und Gärten Abstände leichter einzuhalten sind. "Und viele gewöhnliche Beschäftigte bekamen zwar Beifall, aber nicht mehr Lohn", monierte ein Redner - während bestimmte Firmen und deren Besitzer fette Gewinne einfuhren.

"Nicht alle in einem Boot"

Es treffe eben nicht zu, dass - nach einer viel beschworenen Formel - alle in einem Boot sitzen. "Jetzt müssen die Krisenkosten von den Reichen getragen werden", so eine der Hauptforderungen. Wobei die Vertreter von Konzernen wie Amazon oder Google nicht im beschaulichen Erlenstegen ansässig sind. Eine Nürnberger Unternehmerfamilie, die für ihre Firmen auch öffentlichen Hilfen in Anspruch genommen habe, stellten die Sprecher allerdings doch namentlich an den Pranger.

Eine symbolische Straßenumbenennung als Zeichen gegen Kolonialismus vollzogen die Teilnehmer in der Bülowstraße: Diese sollte - statt nach einem preußischen General - besser nach einem Freiheitskämpfer der Herero und Nama in Südwestafrika benannt werden, die von den deutschen Kolonialtruppen in Massen verfolgt und hingerichtet wurden: Einer ihrer Anführer war Jakobus Morenga, der "schwarze Napoleon". Auch heute sei der Kolonialismus längst nicht überwunden, aktuell sei es vor allem die Aufhebung des Patentschutzes für die Impfstoffe gegen Covid-19 erforderlich.

Statt strammer ideologischer Kampfparolen gab es auch satirische Einlagen im Stil des Agitprop-Theaters: So forderte eine Vertreterin des "autonomen Quartiersmanagements" für Erlenstegen ein Jugendzentrum, eine Volksküche, Umsonstläden "sowie Bierautomaten und Konsumpavillons". Ohne soziale Mischung und Vielfalt sei Erlenstegen öde und langweilig und gewissermaßen ein "sozialer Brennpunkt" im umgekehrten Sinn. "Hier muss sich dringend etwas ändern", zum Beispiel mit der andernorts vielfach propagierten "Nachverdichtung".

Eine forsche Anwohnerin wollte sich das alles freilich doch nicht bieten lassen. "Wir lassen uns doch hier nicht als Quasi-Asoziale abstempeln", bot sie den Veranstaltern Paroli. Ans Mikrofon gelassen wurde sie allerdings nicht - ein Polizist geleitete sie besänftigend an den Rand der Veranstaltung, die im übrigen ohne ernsthafte Zwischenfälle verlief und - entgegen mancher Befürchtungen - rundum friedlich über die Bühne ging.