Fürsprecher für die freie Kultur

8.9.2017, 20:00 Uhr
Fürsprecher für die freie Kultur

© Foto: Michael Matejka

Das Stadtmagazin "plärrer" ist Geschichte. Die vormals so alternative Zeitung ist an allmählicher Auszehrung verblichen. Schon 2014 mussten die ehemaligen Herausgeber Insolvenz anmelden. Doch kurzfristig erschien ein Retter am Horizont: Hofmann Infocom übernahm die finanzielle Verantwortung für das Blatt.

Vor rund einem Jahr zog es seinen gedruckten "Mantel" aus und verflüchtigte sich als Online-Ausgabe ins Internet. Jetzt kam die Meldung: "Nach fast vierzig Jahren Berichterstattung über Veranstaltungen, Kunst, Kultur und Leben in und um Nürnberg stellt das Stadtmagazin plärrer ab September 2017 vorerst seine Aktivitäten ein."

Das "vorerst" darf man ersatzlos streichen. Wir trauern um einen würdigen Konkurrenten, einen journalistischen Unruhestifter, um das Erzeugnis eines Zeitalters politischer Bewegtheit, dem in der Epoche des Lifestyle notwendig die Luft ausgehen musste.

"plärrer" – das Geschrei in der Stadtmitte: Das war ein guter Titel für ein Nürnberger Magazin, dessen erste Ausgabe am 3. Februar 1978 erschien. Damals blühten solche Organe überall auf: "Tip" und "Zitty" in Berlin, "Blatt" in München – das erklärte Vorbild des "plärrer". Die Redaktionen wollten anders sein als die "etablierten" Medien, frecher, unbekümmerter, getragen vom Elan studentischer Publikationen oder von Schülerzeitungen ohne die Zensur-Instanz des Lehrkörpers. Man sprach von "Gegenöffentlichkeit". Die "plärrer"-Kollegen warfen uns von den Tageszeitungen vor, wir würden zu oft mit Stadträten im Bratwursthäusle hocken oder mit Theaterdirektoren im "Sternle".

Sie hielten dagegen mit einer journalistischen Mischung, die jede Trennung von Nachricht und Kommentar, Glosse und Reportage, Satire und Investigation aufhob. Heftige Bildmontagen lockten mit optischen Reizen. Der "plärrer" wollte über all das informieren, was bei uns zu kurz kam. Deswegen schuf er seinen berühmten Veranstaltungskalender, der noch abseitigste Auftritte auflistete und das Lockmittel für viele Abonnenten wurde. Die wirkliche Leistung des Stadtmagazins war jedoch die Förderung der sogenannten Freien Kulturszene – etwa der Kulturläden und Kindertheater –, die heute längst etabliert ist und journalistische Beachtung findet, die in den 1980er Jahren aber erst einmal Öffentlichkeit herstellen musste. Der "plärrer" war da.

Dennoch wurde seine Geschichte vor allem durch zwei große Skandale mit juristischen Querelen geprägt. 1981 druckte die Redaktion Auszüge aus der Anklageschrift zur sogenannten Massenverhaftung im Komm ab. Daraufhin wurde das Magazin von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, die Redakteure angeklagt. Am Ende, nachdem der Prozess gegen die Verhafteten aus der Hausbesetzerszene ohnehin geplatzt war, stand der Freispruch der Journalisten.

Im selben juristischen Sande verlief 1986 der Konflikt um eine Satire von Gastautor Horst Tomayer. Er hatte den Text der Deutschen Nationalhymne ziemlich unflätig variiert. Der Prozess ging bis zum Bundesverfassungsgericht. Der Kabarettist Dieter Hildebrandt berichtete in seiner Fernsehsendung "Scheibenwischer" darüber. Sogar die französische Zeitung "Liberation" schaltete sich ein. Am Schluss stand wie fast immer in solchen Fällen die Erkenntnis: Satire darf alles.

"Wir waren einmal die Dämonen", sagt Jochen Schmoldt, seit 1986 Chefredakteur des "plärrer". Das ist lange her. In letzter Zeit hatte das Magazin vor allem über Bio-Öle und Barista-Künste berichtet. Der Zeitgeist schlug die Dämonen in Bann. Die alten Macher hatten ihre Aufmüpfigkeit an den Zeitnagel gehängt. Die jungen hatten keine Lust dazu. Und irgendwie lieferte auch die Stadt Nürnberg kaum noch Aufreger, die von uns in den Tageszeitungen verdrängt worden wären. So ist der "plärrer" sanft entschlummert. Dem einstigen Enfant terrible waren als Genuss-Greis ganz einfach die Zähne ausgefallen.

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