Gedenkort für lange vergessene Opfer
28.6.2013, 07:03 UhrIrgendwann glichen sie Vogelfreien. Sie wurden geächtet, diskriminiert und schließlich zu Staatsfeinden erklärt. Einen Platz hatten sie nicht mehr in der Gesellschaft. Sie sollten weg.
Weg aus dem öffentlichen Leben, weg aus dem öffentlichen Bewusstsein. Die Paragrafen 175 und 175a, die die „Unzucht zwischen Männern“ unter hohe Strafen stellten, ebneten den Weg für die staatlich institutionalisierte Leidensgeschichte von über 50000 Homosexuellen.
Sie kamen vor Gericht, wurden verurteilt und landeten in Zuchthäusern, Gefängnissen und sogenannten Heilanstalten. Der rosa Winkel auf ihrer Kleidung in den Konzentrationslagern wurde ihnen auferlegt. Kastration, medizinische Experimente — die Qual hatte viele Gesichter. Mindestens die Hälfte der Männer überlebte die Lager nicht.
In Nürnberg kann es für die neue Opfer-Gedenkstätte des Nürnberger Künstlers Christof Popp wohl keinen besseren Ort geben als am Sterntor. Zwischen Hauptbahnhof und Opernhaus sowie in Bereichen der Königstraße gab es vor 1945 vermeintlich heimliche Orte, an denen sich homosexuelle Männer treffen konnten. Eine Straßenbahn-Wartehalle am Sterntor war ebenfalls ein beliebter Ort. Sicher waren diese Treffpunkte nicht. Sie wurden polizeilich überwacht, in der Stadt waren die Plätze verschrien — ein ideales Feld für Denunzianten.
Anfeindungen, die freilich auch weibliche Homosexuelle zu dieser Zeit trafen. Doch wegen ihrer Homosexualität machten sie sich nicht strafbar, diesen Frauen drohte jedoch, etwa wegen Prostitution belangt zu werden.
Für Oberbürgermeister Ulrich Maly ist deshalb die neue Gedenkstätte „ein Mosaikstein in der Erinnerungskultur der Stadt“, wie er bei der Enthüllung der Stele sagte. Auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände stehen Gedenkstelen, vor der AOK-Zentrale erinnert eine Stele an die Euthanasie-Opfer. Erst vor kurzem wurde eine Stele für die Opfer der NSU-Terrorzelle errichtet. Sie alle entsprechen in der Gestaltung dem knapp drei Meter hohen neuen Gedenkort am Sterntor, der 10.000 Euro gekostet hat und aus Edelstahl besteht.„Der Gedenkort ist aber auch die Anerkennung dieser Menschen als Opfer des Nationalsozialismus.“ Denn die Überlebenden seien als Straffällige erachtet worden, so Maly weiter. Erst seit 1994 ist der Paragraf endgültig Geschichte.
Alltägliche Diskriminierung
Die Stele sei aber auch wichtig, weil die alltägliche Diskriminierung von sexuellen Minderheiten noch immer ein weltweites Phänomen sei, so Maly. Das weiß auch Michael Glas vom Verein Fliederlich e.V. nur allzu gut. Er berichtet von homosexuellen Mietern, denen die Schergen des Dritten Reichs an den Hals gewünscht werden, von Veranstaltern von „Schwulen-Partys“, die offen angefeindet werden, und von verschmierten Gedenktafeln. Auch deshalb sei ein Gedenkort so wichtig.
„Ich bin wirklich begeistert von der Umsetzung und dem Ort“, sagte Michael Glas und dankte dabei zwar unter anderem auch der Stadt und der Verwaltung, vor allen aber den Stadträten von Bündnis 90/Die Grünen. Die hatten sich für eine Gedenkstätte starkgemacht — immerhin bereits vor zehn Jahren.
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