Heftiger Protest gegen rassistische Figuren im Spielzeugmuseum

10.4.2021, 06:00 Uhr
Heftiger Protest gegen rassistische Figuren im Spielzeugmuseum

© Stefan Hippel/NNZ

"Sie müssen an der Ausstellung unbedingt etwas ändern. Das ist purer Rassismus, den Sie da zeigen. Dieses Objekt verletzt mich und alle Menschen mit afroamerikanischen Wurzeln", schimpfte eine Amerikanerin 2017 im Spielzeugmuseum und verwies auf den sogenannten "Alabama Coon Jigger". Die uralte Blechfigur zeigt einen schlaksigen Schwarzen, der nach dem Aufziehen zu tanzen beginnt.

Beispiel für Zwei-Klassen-Gesellschaft


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Die Firma Ernst-Paul Lehmann fabrizierte dieses Blechspielzeug 1912 im gesellschaftlichen Bewusstsein des Kolonialismus. Es verwies unterschwellig auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in denen weiße Menschen den Ton angaben und schwarze Frauen und Männer noch im 19. Jahrhundert Sklaven waren. Weiße Kinder, für die das Spielzeug gekauft wurde, konnten den "Coon Jigger" für sich tanzen lassen.

Heftiger Protest gegen rassistische Figuren im Spielzeugmuseum

© Spielzeugmuseum Nürnberg

"Es gibt einen großen Handlungsbedarf bei problematischen Spielwaren, wir nehmen die Kritik sehr ernst", erklärt Karin Falkenberg, Direktorin des Nürnberger Spielzeugmuseums. Die Tanzfigur wurde aus der Dauerausstellung genommen, doch sie soll kommentiert wieder zu sehen sein - wenn das Museum entsprechend den corona-bedingten Vorschriften wieder öffnen darf.


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Eine schwarze Künstlerin hat ein Bild zum "Coon Jigger" gemalt, auf dem die Figur die sie antreibende Metallfeder in der Hand hält. Es soll bildlich verdeutlichen, dass der Mann nur tanzt, wenn er es selbst will. Ein Begleittext zum Thema Kolonialismus soll den Besuchern weiteren Hintergrund vermitteln.

Workshop zum Thema Rassismus

Für Falkenberg war die Kritik ein Anstoß, sich intensiver mit dem Thema Rassismus zu befassen. Alle Museums-Mitarbeiter beteiligten sich vor einem Jahr an einem Workshop mit Jürgen Schlicher, der seit langem Kurse zu (Nicht)-Diskriminierung und Diversity Management anbietet.

"Die intensiven Diskussionen haben uns die Augen geöffnet", erklärt Falkenberg, "denn als weiße Mitteleuropäer erkennen wir manchmal nicht auf Anhieb, was rassistisch ist. Wir versuchen, mehr Sensibilität für Rassismus zu entwickeln." Auch dies fließe neben weiteren Aspekten in die anstehende Neukonzeption der Hauptausstellung ein.


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Deswegen ist die Museumschefin mit mehreren Gruppen - unterschiedlich etwa nach Hautfarbe oder geschlechtlicher Orientierung - durch das Haus an der Karlstraße gegangen. Durch das Einbeziehen von Menschen mit Diskriminierungserfahrung soll ein stärkeres Bewusstsein für Rassismus bei den Spielwaren entstehen. Zehn Objekte wurden entfernt, im Depot hat man weitere 70 problematische Spielwaren gesichtet.

Heftiger Protest gegen rassistische Figuren im Spielzeugmuseum

© Stefan Hippel/NNZ

Diese sollen aber nicht tabuisiert verschwinden, sondern entsprechend kommentiert bearbeitet werden. Es geht nicht allein um die Präsentation im Spielzeugmuseum, denn über das virtuelle Depot sind die Bestände weltweit abrufbar.

Sonderschau zu (anti)rassistischem Spielzeug

"Es gibt keinen Königsweg, wir müssen mit jedem Objekt einzeln umgehen", erklärt die Museums-Direktorin, die auch Patin der Maria-Ward-Schule als "Schule ohne Rassismus" ist.

Sie kann auf Ausstellungen anderer Museen - etwa in Bremen oder Frankfurt - aufbauen, die sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben. Das Nürnberger Spielzeugmuseum eröffnet voraussichtlich Mitte Juli eine Schau zu (anti)rassistischem Spielzeug.

Besucher Uwe Schulte aus Norddeutschland hatte sich bereits 2019 darüber empört, dass in einer Vitrine Miniaturfiguren von Hitler, Goebbels und Göring auf einer Tribüne mit Hakenkreuz und einer - aus seiner Sicht - kriegsverherrlichenden Kulisse präsentiert wurden. Er forderte damals nachdrücklich die Beseitigung dieser Darstellung. Seit Oktober 2019 sind die Scheiben der betreffenden Vitrine zugeklebt. Im Zuge der Neugestaltung der Hauptausstellung wird diese mit Leihgaben bestückte NS-Szenerie nicht mehr zu sehen sein.

Offener Brief an Oberbürgermeister König

Schulte wandte sich jetzt mit einem Offenen Brief an Nürnbergs Oberbürgermeister. Der auswärtige Besucher erinnert an die "besondere Verantwortung der Stadt Nürnberg" bezüglich des Nationalsozialismus. Zwar würdigt er Maßnahmen wie die Einrichtung des Memoriums und des Dokumentationszentrums, hält dies aber nicht für nicht ausreichend. Er sieht vielmehr die Notwendigkeit "einer klaren distanzierten Stellungnahme zu der verbrecherischen Vergangenheit der Stadt".

"Ein notwendiger Anfang ist es, unbelehrbare Mitarbeiter, die unter anderem trotz klarer Hinweise an rassistischen Exponaten festgehalten haben, zur Verantwortung zu ziehen. Das Spielzeugmuseum braucht eine völlige Neugestaltung unter einer neuen Leitung", beschließt Schulte sein Schreiben an den Oberbürgermeister.


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Das Bürgermeisteramt weist die Forderung entschieden zurück: "Für personelle Konsequenzen gibt es nicht die geringste Grundlage. Die Leiterin des Spielzeugmuseums hat sich in dieser Sache mustergültig verhalten", betont Sven Heublein, zuständig für Kommunikation und Soziale Medien im Bürgermeisteramt.

Die beanstandeten Exponate seien entfernt und das gesamte Museums-Team sei für das Thema Rassismus sensibilisiert worden. Außerdem werde die bevorstehende Neukonzeption problematische Spielwaren in einen erklärenden Kontext stellen, so Heublein.

"Es trifft die ganz Falsche"

Auch Thomas Eser, Chef aller städtischen Museen, hält die Forderung nach einer neuen Leitung für abwegig: "Da trifft es die ganz Falsche. Das Spielzeugmuseum ist vielmehr ein Referenzhaus für Diversität und antirassistisches Kuratieren."

Davon könnten andere Museen profitieren, denn viele Häuser seien betroffen. Er betont, dass die Sensibilität deutlich gewachsen sei: Manches vermeintlich harmlose Spielzeug sei in Wirklichkeit chauvenistisch, frauenfeindlich oder auch brutal.

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