Heilpraktiker vor Gericht: Schuld am Tod einer Krebspatientin?
26.5.2020, 17:45 UhrDer Biotensor sollte für Zuversicht sorgen: „Krebs“, den könne sie vielleicht in einem Speiselokal bestellen, bemerkte Heilpraktiker Werner E. am 8. Januar 2009 – doch sein „Biotensor“, eine Art Wünschelrute aus Metall, habe ihm gezeigt, dass sie nicht an Krebs, sondern nur an einer Drüsenentzündung leide. Eine Diagnose, die Patientin Anna P. gerne hörte, war sie doch viel freundlicher als jene Therapieempfehlung, die sie vorher im Diagnosezentrum und im Krankenhaus erhalten hatte.
Rückblick: Anfang November 2008 ertastete die Frau in ihrer linken Brust eine Art Knoten. Sie ging in das Diagnosezentrum Wolfsberg im niederbayerischen Landkreis Straubing und es folgte das volle Programm – eine körperliche Untersuchung, Ultraschall- und Röntgenaufnahmen, sie wurde in den Kernspintomographen (MRT) geschoben, per Biopsienadel wurde eine Probe des auffälligen Gewebes entnommen. Diagnostiziert wurde ein Karzinom, die Ärzte rieten zur Entfernung der Brust.
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Anna P. ging nie wieder in das Krankenhaus. Sie vertraute Werner E. (Namen aller Betroffenen geändert) und dessen Biotensor. Der Heilpraktiker hatte bereits ihren Bruder erfolgreich behandelt, und als gelernter Apotheker verfügte er auch über schulmedizinisches Wissen. Anna P. überließ ihm alle Unterlagen und Befunde und schluckte homöopathischen Mittel gegen die vermeintliche Drüsenentzündung.
Verurteilt zu Freiheitsstrafe von über zwei Jahren
Am 28. April 2013 starb sie an einer Brustkrebserkrankung, der Krebs hatte metastasiert, am Ende waren Brust, Leber und Wirbelsäule betroffen. Fahrlässige Tötung befand das Amtsgericht Kelheim. Im März 2018 wurde Werner E. zu zwei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, das Gericht verbot ihm für die Dauer von fünf Jahren, seinen Beruf auszuüben. Freispruch, hieß es im September 2019 im Landgericht Regensburg: Werner E. hatte gegen das Ersturteil erfolgreich Berufung eingelegt.
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Und nun liegen die Akten in Nürnberg beim Bayerischen Obersten Landesgericht und erörtert werden grundsätzliche Überlegungen: Hat nicht jeder Mensch das Recht, zu wählen, ob er einen Heilpraktiker oder einen Schulmediziner aufsucht oder auch gänzlich auf ärztliche Hilfe verzichtet? Das Strafverfahren gegen Werner E., mittlerweile ist er 70 Jahre und seine Praxis ist geschlossen, wird erneut aufgerollt: Die Staatsanwaltschaft war gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg in Revision gegangen, das Bayerische Oberste Landesgericht hatte geprüft, und der zuständige Nürnberger Strafsenat stellte unter seinem Vorsitzenden Richter Bernhard Wankel gerade Rechtsfehler im Urteil des Landgerichts fest.
Liegt schädliches Verhalten vor?
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Heilpraktiker einen groben Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, fast schon „schädliches Verhalten“ vor: Obwohl der Heilpraktiker auch gelernter Apotheker sei, habe er sich über die Diagnose der Ärzte „einfach hinweggesetzt“. Krankheiten auszupendeln bewege sich „schlicht im Reich des Übernatürlichen“, das Landgericht Regensburg habe dies verkannt, daher brauche es ein erneutes Strafverfahren mit neuen Richtern, eine neue Verhandlung mit einer neuen Entscheidung.
Fall wird erneut verhandelt
Doch wisse nicht jeder, der Heilpraktiker aufsucht, um deren Methoden und Vorstellungen? Sei nicht jeder Patient, der auf alternative Behandlungsmethoden setzt, auch damit einverstanden, dass eine Krankheit ausgependelt wird? Frau P. hatte bereits eine schulmedizinischen Befund, als sie zu Werner E. ging – sie habe gewusst, auf was sie sich einlässt. So sieht es Verteidiger Michael Haizmann. Der Heilpraktiker selbst ist in der Sitzung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht anwesend.
Der Senat folgt dem Antrag der Staatsanwaltschaft, und verweist den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Regensburg zurück. Werner E. muss sich erneut vor einer Strafkammer verantworten – denn vor allem die Frage, ob er eine vorsätzliche Körperverletzung begangen habe, sei in der Urteilsbegründung nicht erörtert worden, befanden die Nürnberger Richter. Denn Anna P. soll mit dem Heilpraktiker vereinbart haben, dass er sie zum Schulmediziner schicken würde, sollte ihr Zustand kritisch werden. Es sieht so aus, als habe er dies über all die Jahre nicht getan.