Ideologie? Ich will Schokolade!

25.08.2009, 00:00 Uhr
Ideologie? Ich will Schokolade!

© Fengler

Man könnte solch eine Führung chronologisch beschreiben, gemäß der Route, die der Ausstellungsführer Andreas Puchta durch die Hallen einschlägt. Wir entscheiden uns für einen anderen Weg, nämlich für Grundmuster und Werke, die den stärksten Eindruck auf uns gemacht haben.

Die Information:

Auch wenn Andreas Puchta mit viel Einsatz und Liebe Hintergründe erhellt und Unzugängliches zugänglich macht – gegen die akustische Begleitung seiner Kollegen, die vor uns und hinter uns erklären und deuten, ist er akustisch machtlos. Der Besucher befindet sich in einem Wettstreit der Deutungen und Schallpegel und gibt irgendwann entnervt auf. Und überlässt sich seinen eigenen Eindrücken.

In Reih und Glied:

Die Sortierung von Fundstücken in strenger Ordnung scheint eine Vorliebe deutscher Künstler zu sein. Raffael Reinsberg sortiert gebrauchte Arbeitsschuhe und Handschuhe in einer Assemblage zu einem Rechteck mit den Ausmaßen 24 mal 18 Fundstücke. Der Anblick weckt Assoziationen zu Konzentrationslagern, zu Morgenappell und Selektion. Dass die Assemblage in der Kartäuserkirche des GNM ausliegt, macht durchaus Sinn, so Puchta: Schließlich war das Germanische Nationalmuseum gegründet worden, um das in Kleinstaaten zerrissene Deutschland zumindest auf kulturellem Sektor zu einigen und Selbstbewusstsein zu erzeugen. Nichts anderes leistete auch die Kunst der BRD wie der DDR. Und trotzdem: Höchstes Unbehagen!

Ein Unbehagen, das in sinnliche Gier umschlägt angesichts des «Schokoladenlöwenturms», den Dieter Roth 1969 gebaut hatte. Dasselbe Prinzip, nur dreidimensional. Fünf mal sieben mal sieben Löwen aus Schokolade stehen neben-, hinter- und übereinander und verströmen penetranten Kakaoduft. Trotz der Alterserscheinungen, trotz der Risse und der Ausblühungen durchgeschwitzter Kakaobutter, geht der Betrachter vor dem Turm in die Knie und inhaliert ungeniert die Schokolade-Aromen. Köstlich! Mehr! Diktatur der braunen Masse! Mehr, mehr, mehr!

Die Ikone:

Ein vertrauter Anblick, immer wieder gern gesehen: Joseph Beuys, wie er in einem Siebdruck von 1971 lebensgroß in seiner Arbeitskluft auf den Betrachter zuschreitet. «La rivoluzione siamo noi», also «Die Revolution sind wir.» Da macht’s gleich wieder klick im Kopf, «Wir sind das Volk» schallt’s im Gehör, und für einen Moment stellen wir uns ein paar Bekannte aus Ostdeutschland vor, wie sie auf den Betrachter wuchtigen Schwunges zuschreiten. Aber irgendwie wirkt Beuys radikaler. Warum bloß?

Eine ostdeutsche Ikone, das ist der «Maurerlehrling», den Otto Nagel 1953 im Stil des Sozialistischen Realismus darstellt. Der Mann aus dem Volk in blendend weißem Arbeitskittel, im Hintergrund die Baustelle. Statisch, langweilend. Letztlich ein Erfüllungsgehilfe unter vielen Tausend anderen. Aha, die Individualität des Einzelgängers gegen die Individualität des Kollektivisten?

Noch eine Ikone. Das ist «Volker Bradke», ein Kunststudent, der längst in der Vergessenheit ruhen würde, hätte nicht Gerhard Richter ihn für drei Wochen zum Star einer Installation erhoben. Fotos eines freundlich lächelnden Mannes mit Hornbrille, ein großformatiges unscharfes Foto, das sich als Richtersches Gemälde erweist, sowie eine Endlosschleife in einem Fernseher. Andy Warhols Prophezeihung, jeder könne für 15 Minuten ein Superstar sein, hat Gerhard Richter radikal umgesetzt, lange vor «Deutschland sucht den Superstar» und den zweifelhaften Helden von «Big Brother».

Und auch der Sturz der Ikonen darf nicht fehlen: Lutz Dammbeck kombinierte 1984 –86 in seinem «Nibelungen»-Triptychon Fotografien von Andreas Baader und Gudrun Ensslin mit Statuen von Arno Breker mittels Übermalung, Nadel und Faden. Welch Geheul der Entrüstung hätte Dammbeck ausgelöst, hätte er seine Idee zehn Jahre früher gehabt?

Die wohlfeile Empörung:

Gegenüber der Assemblage «Hand und Fuß» steht in der Kartäuserkirche Will Lammerts Figurenentwurf für das Mahnmal in Ravensbrück: Frauen und Kinder in hoffnungsloser Haltung, barfuß und ausgemergelt. Das war den DDR-Oberen zu pessimistisch. «Die sozialistische Frau, die das KZ übersteht, geht aufrecht und heroisch», verkündeten die Kunstwärter und nötigten Lammert zur Umarbeitung.

Umgekehrt besuchte Anselm Kiefer Ende der sechziger Jahre Schauplätze, die die Deutsche Wehrmacht erobert hatte, und ließ sich dort fotografieren – in Hitlergruß-Pose. Die Provokation ging nach hinten los, Mäzene sprangen ab, Kiefer verschwand für rund 20 Jahre von der Bildfläche. Verglichen mit Kiefers Zurschaustellung ist Otmar Hörls Gartenzwerg ein Witz.

Die Transformation:

Zufallsfundstücke verwandeln sich in stumme Zeugen der Anklage, Schokoladenlöwen in Anschauungsobjekte organischer Zersetzung. Menschen aus Fleisch und Blut verwandeln sich in zweidimensionale Abbildungen und wachsen als Ikonen über sich selbst hinaus. Andere Menschen verwandeln sich durch Hitze-Einwirkung in Statuen aus Knochen und Asche. Sechs Fotos von insgesamt 7000 Aufnahmen, die der Fotograf Richard Peter in Dresden am Tag nach der Bombardierung schoss, zeigt das GNM. Diese kleinen Bilder löschen alles andere aus.

Bis 6. September. Führungen Mittwoch 18 Uhr, Sonntag 14 Uhr.

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