Jugendliche bauen mit einem Haus an ihrer Zukunft
20.10.2012, 00:00 Uhr
Freitag, 12.35 Uhr beim Haus der Naturfreunde Nürnberg-Mitte: Julian Fritsch steht auf einer Leiter, erhebt ein Sektglas zum Richtspruch. „Der Fleiß kommt nicht von ungefähr, diesmal mussten Schüler her“, dichtete der Zimmerer feierlich. Nach dem letzten Schluck wirft er das Glas auf den Boden. Die neue Kanuscheune der Naturfreunde ist eingeweiht. Das Besondere: Dem Zimmermeister haben neun Schüler beim Bau geholfen. In einer Projektwoche — initiiert von der Berufsschule 11 — durften sie das Handwerk kennenlernen und selbst zu Hammer und Säge greifen.

Einer von ihnen ist Andre Hanselmayer von der Mittelschule Insel Schütt. „Ich hätte nie gedacht, dass wir es schaffen, in fünf Tagen ein Haus fertig zu bauen“, sagt der 14-Jährige. Aber es hat geklappt — mit der richtigen Anleitung und Hilfe von echten Profis. Neben Fritsch von der Zimmerei Lorenz Wunner nahmen drei Meister und ein Lehrling von der Zimmerei Pfettenspecht die Teenager unter ihre Fittiche.
Andre ist stolz auf das Ergebnis: ein 25 Quadratmeter großes Holzhaus. Dabei sah es zwei Tage zuvor noch nicht so aus, als könnte der Zeitplan eingehalten werden.

Mittwoch, 11.23 Uhr: Lautes Hämmern und Bohren dröhnt beim Naturfreundehaus nahe der Pegnitz in Schniegling. Eine Baustelle stört das idyllische Bild des romantischen Fachwerkhauses inmitten bunter Kastanien. Staubkörnchen und Sägespäne wirbeln durch die Luft. „Jungs, könnt ihr mal mit anpacken“, schreit Michael Golombek. Ein Querbalken soll im Dachstuhl angebracht werden. „Jenny, du hilfst auch“, setzt der Zimmermeister nach.
Ohne Teamarbeit geht nichts
Jennifer Schuster besucht dieselbe Schule wie Andre. Es ist ihre erste Projektwoche. Auf der Baustelle ist sie das einzige Mädchen. „Es sieht einfach aus, ist aber total anstrengend“ sagt sie. Den Balken trägt sie mit den anderen Schüler in das Haus, das noch aus einem nackten Holzgerüst besteht — das Mauerwerk wurde bereits in einer anderen Projektwoche aufgezogen. Das zierliche Mädchen klettert auf die Leiter und versucht, ein Ende auf eine Strebe zu hieven. Alleine schafft sie es nicht, dazu ist sie zu schwach. Doch dafür ist die Gruppe da.
„Teamarbeit ist sehr wichtig“, erklärt Golombek. „Was einer nicht schafft, gleicht der Rest aus.“ Auch das sollen die Jugendlichen bei dem Hausbau lernen.
Eine der größten Herausforderungen ist die Zahl der Schüler. Acht Jungen und ein Mädchen — 18 Hände „und keiner weiß, wohin damit“, sagt Golombek. „Sie müssen sich absprechen und die Dinge koordinieren.“ Klar, dass da manche Situationen schwierig sind. So schwierig, dass die Zimmerer Anfang der Woche sogar einen Baustopp einlegten. Es war ein Fehler passiert. „Nicht schlimm, aber niemand wollte dafür geradestehen“, ärgert sich Golombek. „Dabei ist Ehrlichkeit in unserem Beruf sehr wichtig.“ Und das will er den 13- und 14-Jährigen vermitteln. Mit Erfolg, nach einem klärenden Gespräch konnte es weitergehen. Inzwischen ist der Dachstuhl fast fertig.
Die Arbeit macht Jenny Spaß, dennoch will sie später keinen Handwerksberuf erlernen. „Nach der neunten Klasse gehe ich weiter auf die Schule und will mein Fachabitur machen“, verrät sie. Umsonst war die Projektwoche dennoch nicht. Nach einem Gespräch mit einem Pädagogen, der die Schüler in der Woche begleitete, kann sich Jenny sogar vorstellen, Architektur zu studieren.
Sprungbrett für eine Lehrstelle
Genau das ist eines der Ziele der Projektwoche: Herausfinden, was den Schülern Spaß macht und welche Talente in ihnen stecken. „Wir hoffen, dass sie ihre Liebe zu einem bestimmten Beruf entdecken“, sagt Reinhard Bauer. Seit zwei Jahren vermittelt er potenzielle Ausbildungsbetriebe zur Berufsorientierung — aus der Gastronomie, dem Baugewerbe, dem IT-, Kfz- und Elektronikbereich. Weil die Projekte auch künftig weiterlaufen sollen, suchen die Schulen ständig nach bereitwilligen Unternehmen. Das staatliche Schulamt zahlt ihnen das Material und weitere Kosten. Die Agentur für Arbeit finanziert Bauer. Im Idealfall könnten manche bereits während der Praktikumswoche ihren späteren Arbeitgeber finden. Aber auch die Betriebe profitieren davon, denn sie können bei solchen Aktionen selbst Lehrlinge finden. „In der Regel vermitteln wir 30 Prozent der Schüler in Lehrstellen“, erklärt Bauer. Das sei gerade für Mittelschüler wichtig, die auf dem Arbeitsmarkt weniger Chancen hätten. „Viele Arbeitgeber schauen nur auf die Noten, doch bei solchen Projekten können die Jugendliche ihr praktisches Geschick beweisen.“ Am Ende des Mini-Praktikums erhalten alle Schüler ein Zertifikat für ihre Bewerbungen.
Für Andre könnte die Projektwoche solch eine Chance sein. Im Handwerk fühlt er sich zu Hause. „Ich kann mir vorstellen, eine Lehre als Zimmerer zu machen“, sagt er. Die Arbeit macht ihm Spaß. Holz zurechtschneiden, Rillen aus Holzstreben und -balken höhlen, Ziegel legen — all das hat der Jugendliche in nur wenigen Tagen gelernt. Und weitaus mehr: „Man muss alles genau abmessen und korrekt arbeiten“, erzählt Andre.
Golombek ist am Ende mit der Arbeit der Schüler zufrieden. „Sie leisten wirklich Tolles“, sagt er, auch wenn es mit einem Haufen 14-Jähriger chaotisch sei. Dennoch: „Zwei Schüler sind dabei, die handwerklich geschickt sind und später eine Lehre als Zimmerer machen sollten.“ Wen er damit meint, lässt er offen. Gelohnt hat sich das Projekt aber für jeden.
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