Kein Taxi auf Anruf

02.01.2010, 00:00 Uhr
Kein Taxi auf Anruf

Das neue Jahr ist gerade eine Stunde alt, als Wolfgang Stahl mit seinem Mercedes den Stand am Hauptbahnhof ansteuert. Eine Traube von Menschen drängelt sich um sein Taxi, als säße Robbie Williams persönlich darin. Es wird geschubst, geschimpft, gedroht. Hände schlagen aufs Autodach. Noch bevor er den Wagen anhält, schließt Stahl auf Knopfdruck die Türen. In solchen Situationen heißt es Ruhe bewahren, bis sich entschieden hat, wer bei ihm einsteigt.

500 Taxen unterwegs

In der Silvesternacht «fährt ganz Nürnberg mit dem Taxi», bringt es Ulrich Romeike, Chef der Taxizentrale Nürnberg, auf den Punkt. «Und jedes Jahr gehen wir aufs Neue mit Pauken und Trompeten unter.» Bis zu 3000 Anfragen in der Stunde kommen auf rund 500 verfügbare Taxis im Stadtgebiet. Eine Rechnung, die nicht aufgehen kann.

Der 60-Jährige Romeike und seine vier MitarbeiterInnen im Call-Center in Ziegelstein gehen routiniert und gelassen dem Untergang entgegen. Zumindest tun sie so. Die überquellenden Aschenbecher legen einen anderen Schluss nahe. Denn während die MitarbeiterInnen im Zehn-Sekunden-Takt Anfragen entgegennehmen, rauchen sie Kette und lassen im wahrsten Sinne des Wortes Dampf ab.

Rauchen und Essen während der Schicht sind erlaubt. Alkohol ist tabu. Selbst heute. Stattdessen gibt es starken Kaffee und ein kaltes Büffet, das der Chef spendiert hat. Margit Holl ist eine Institution in der Ziegelsteinstraße. Seit 17 Jahren arbeitet die gebürtige Österreicherin in der Nachtschicht. «Taxizentrale, Guten Abend», begrüßt sie die Anrufer mit ihrer angenehmen dunklen Stimme.

Heute ziehen sich die Gespräche wie Kaugummi. Holl muss viel erklären. Warum es in der Silvesternacht nicht möglich ist, ein Taxi vorzubestellen und warum es erheblich länger dauert, eines zu bekommen. Die blonde Dame mit dem pinken Pullover muss sich vorkommen wie eine hängengebliebene Schallplatte, doch sie bleibt freundlich: «Ihnen trotzdem ein gesundes neues Jahr!»

Der nächste Anruf. Holl tippt rasch den Namen und Standort des Anrufers ins System. Sofort tauchen die Nummern der Taxis auf, die sich im näheren Umkreis des Auftrags befinden und «leer» sind. Fünf bis zehn Minuten später ist der Wagen dann normalerweise vor Ort.

Normalerweise. Heute herrscht Ausnahmezustand. Wartezeiten bis zu einer Stunde sind keine Seltenheit. Wer Pech hat, wartet vergeblich. Vor allem im Burgviertel kann das durchaus vorkommen.

Die Gässchen rund um die Burg meiden viele Taxifahrer an Silvester wie der Teufel das Weihwasser. Romeike: «Wegen der vielen zerbrochenen Flaschen ist das bei uns nur das Scherbenviertel.» Ganz schnell habe man sich da einen Platten geholt. Das Wechseln des Reifens koste nicht nur Zeit und damit Geld, der Fahrer müsse den Reifen auch noch aus eigener Tasche ersetzen.

System verstopft

Deshalb löschen Romeike und seine MitarbeiterInnen Aufträge aus der Sebalder Altstadt, wenn sie nach 20 Minuten noch nicht erledigt wurden. «Wenn kein Fahrer den Auftrag will, nehmen wir ihn raus, er verstopft sonst nur das System.» Bis zu 100 unvermittelte Fahrten stauen sich so an. Vor allem zwischen zwei und fünf Uhr morgens. Dann kommt es vor, dass die MitabeiterInnen keinen Anruf mehr annehmen, um nicht noch mehr Fahrgäste zu verärgern. Dann ist Zeit, für einen Happen am Büffet oder ein kurzes Pläuschchen. Je wilder es in der Stadt zugeht, desto ruhiger arbeiten die MitarbeiterInnen in der Taxizentrale. Der Untergang ist programmiert, kein Grund zur Panik heißt die Devise. Hinzu kommt, dass ab Mitternacht viele Fahrer autonome Züge annehmen. Sie koppeln sich vom Funknetz der Zentrale ab und fahren nur noch Laufkundschaft.

Wolfgang Stahl nicht. Zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk erfüllt der 61-Jährige Fahrer die Aufträge der Taxizentrale. Wenn er nach seiner 12-Stunden Nachtschicht mit über 40 Fahrten aus dem Mercedes steigt, wird er rund 250 Kilometer zurückgelegt und zwischen 350 und 600 Euro Umsatz gemacht haben. Ein Viertel davon ist sein Netto-Verdienst.

Extrem schlechte Erfahrungen mit betrunkenen Fahrgästen hat Stahl in den Neujahrsnächten nie gemacht: «Sicher, der eine oder andere kotzt schon mal ins Auto, aber gewalttätig sind die Leute nicht.» Mit Anbruch des neuen Tages verebben auch die Anrufe in der Taxizentrale. «Es ist wie jedes Jahr», seufzt Romeike ergeben. «Um 8 Uhr morgens ist jeder daheim und der Spuk ist vorbei.»