In Berlin wiederum muss der Name Wissmann weichen, hier hat man die betreffende Straße in Lucy-Lameck-Straße umbenannt und ehrt damit eine tansanische Unabhängigkeitskämpferin und Frauenrechtlerin. Wirtschaftsreferent Michael Fraas (CSU), in dessen Zuständigkeit der Bereich fällt, sieht beide Optionen jedoch skeptisch.
Doch der Reihe nach: Wie werden Straßennamen eigentlich vergeben? Das Amt für Geoinformation sammelt Vorschläge, die von Stadträten (dann muss sich die Stadtverwaltung mit ihnen beschäftigen), aber auch aus der Bürgerschaft kommen können. Jene Einreichungen, die besonders plausibel erscheinen, werden in einer zweiten Stufe von den Historikern des Stadtarchivs geprüft. Derzeit beleuchten sie das Lebenswerk Kurt Eisners. Mit Wissmann haben sie sich indes schon 2018 beschäftigt, als bereits die Grünen einmal eine Umbenennung des Platzes gefordert haben, der 1937, also in der Nazi-Zeit, seinen Namen bekam.
Permanente Auseinandersetzung
Das mit Literaturangaben 47-seitige Dossier korrigiert das vernichtende vorherrschende Urteil über Wissmann zwar teilweise, fällt aber insgesamt dennoch wenig schmeichelhaft für den Militärführer aus. Gleichwohl kommen die Historiker zu einem Ergebnis, das Fraas teilt: Mit der Löschung des Straßennamens machte man begangenes Unrecht nicht ungeschehen, könnte aber einen Teil dazu beitragen, dass es in Vergessenheit gerät – bleibt der Name, findet "günstigstenfalls eine permanente Auseinandersetzung" statt.
Eine solche "stete Erinnerungsdebatte" sei auch deshalb wichtig, weil die deutsche Kolonialgeschichte außerhalb akademischer Kreise kaum auf breites Interesse stoße. Die Stadtarchivare zitieren Geschichtsprofessor Hans-Ulrich Thamer, der anmahnte, dass eine "Entsorgung der Vergangenheit durch die bloße Abnahme der entsprechenden Straßenschilder (. . .) mit Sicherheit der falsche Weg" wäre. So denkt auch Fraas. Deswegen plädiert er für Zusatzschilder mit Erläuterungen zu den historischen Personen. Im Fall von Wissmann gibt es das Schild schon, eine neuerliche Befassung des Stadtrats mit dem Thema hält der Referent daher für nicht notwendig. In Erlangen hat der Stadtrat kürzlich beschlossen, alle vorhandenen Straßennamen zu überprüfen.
Eisners Nürnberger Nachfahren
Was wiederum künftige Namenspatrone in Nürnberg angeht, so gilt eigentlich der Grundsatz, dass sie neben einem ehrenwerten Lebenslauf auch einen Nürnberg-Bezug haben sollten. Das spielt dem gebürtigen Nürnberger Mahlein (1921–1985), der Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Druck und Papier war, ebenso in die Karten wie dem eigentlich aus Berlin stammenden Eisner (1867–1919). Der sozialistische Politiker arbeitete von 1907 bis 1910 als Chefredakteur der SPD-Zeitung "Fränkische Tagespost" in der Frankenmetropole, seine Nachfahren leben heute noch hier. Die Enkel Gerda Graßmann (91 Jahre) und Kurt Eisner (82) sowie Urenkelin Sonja Ripa (68) haben sich mit weiteren Familienmitgliedern denn auch an die Stadt mit dem Anliegen gewandt, ihrem berühmten Vorfahren eine Straße zu widmen.
Niedrige Frauenquote
Kämen Eisner und Mahlein zum Zug, hätte dies freilich Konsequenzen für die Frauenquote. Die lag 2018 bei jenen Straßen, die nach Personen benannt sind, nur bei sieben Prozent (85 Prozent Männer, acht Prozent Familien). Seither hat die Stadt versucht, aufzuholen – bei den 20 zwischen Januar 2018 und Juni 2021 nach Personen benannten Straßen liegen die Frauen mit elf zu neun vorne. Um diesen Trend zu verstetigen, werden laut Fraas im Tiefen Feld, wo Wissenschaftlerinnen geehrt werden sollen, auch Personen ohne regionalen Bezug in Betracht gezogen.
Mehr Vorschläge als Straßen
Generell, sagt der Referent, bestehe das Problem, dass es mehr Anwärter gibt als Straßen. Das schrieb Oberbürgermeister Marcus König (CSU) auch den Nachfahren Eisners. Die Urschlechter-Freunde müssen dennoch nicht bangen, denn dem einstigen Stadtoberhaupt ist seine Straße bereits sicher. Besser gesagt: Brücke.
Der Verkehrsausschuss des Stadtrats hat 2019 beschlossen, die Hafenbrücken nach dem Langzeit-Oberbürgermeister zu benennen. Diese sollen allerdings neu errichtet werden. Es wäre "ein seltsames Signal" gewesen, sagt Fraas, die bestehenden Brücken erst nach Urschlechter (1919–2011) zu benennen und sie hernach abzureißen. "Immerhin war er auch einmal Wiederaufbaureferent." Also werden erst die neuen Hafenbrücken diesen Namen tragen. Die sollen 2027 fertig sein. Der Mythos, dass die SPD, aus der Urschlechter 1982 überraschend austrat, immer noch beleidigt ist und ihrem langjährigen Frontmann einfach keine Straße gönnt, kann also noch ein wenig weiterleben.