Kreative Nachwuchsarbeit am Staatstheater

Katharina Erlenwein

29.4.2019, 14:38 Uhr
Kreative Nachwuchsarbeit am Staatstheater

Die einen proben intensiv an einem kompakten kleinen Stück über die Liebe. Die anderen auch, nur machen sie das ganz anders. Und die dritten: seilen sich ab. Insgesamt fünf Theaterklubs hat das Staatstheater Nürnberg. Bei der Blauen Nacht präsentieren sie zum zweiten Mal gemeinsam, was sie können.

Die Jugendklubs haben am Richard-Wagner-Platz längst Tradition. Anja Sparberg, langjährige Leiterin der Theaterpädagogik am Haus, hat das Angebot kontinuierlich ausgebaut. Was früher "U 18" hieß und Teenager ab 16 Jahren angesprochen hat, ist jetzt erweitert auf fünf Gruppen. Dienstags treffen sich die "+/-50"-Theaterbegeisterten, und samstags gibt es einen Klub, der zusammen mit der Lebenshilfe e. V. Menschen mit und ohne Behinderung auf oder hinter der Bühne zusammenbringt.

Kreative Nachwuchsarbeit am Staatstheater

Da kommen ganz unterschiedliche Hobby-Schauspieler in einem geschlossenen Raum zusammen, sperren sonniges Frühlingswetter für zwei Stunden aus, tauchen ein in Himmel und Hölle und "Liebe: Jetzt", so der Titel der Performance.

"Als sie einander acht Jahre kannten (und man darf sagen: sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden. Wie andern Leuten ein Stock oder Hut." Jede der sechs Schauspielerinnen und der einzige Mann im Klub der "Älteren" übernimmt eine Zeile aus Erich Kästners Gedicht "Sachliche Romanze". Und es schwingt Lebenserfahrung, aber auch ein Schmunzeln mit, wenn sie das ernüchternde Ende einer Liebe vortragen: ". . .und sahen sich an und wussten nicht weiter."

Anja Sparberg dirigiert den vielstimmigen Chor, greift aber selten ein. Zwischen den Strophen setzen sich jeweils zwei vorne an den Bühnenrand und improvisieren Szenen einer zerbrechenden Ehe. Was rauskommt, ob sie sich nach wenigen Sätzen vertragen und einen Neuanfang wagen, oder ob sie achselzuckend das Weite (und Neue) suchen: Auch die Klubleiterin weiß es nicht.

In die Situation eintauchen

"Die Älteren machen das hochkonzentriert, aber natürlich mit mehr Abgeklärtheit. Bei den Jüngeren kommt beim Thema Liebe viel mehr Herz und Schmerz", sagt Sparberg lachend.

Ein paar Tage später im "Freitagsklub": Musiktheater-Pädagoge Philipp Roosz übt locker, aber sehr genau das Lied, das bei der Vorführung am Abend der Blauen Nacht sitzen soll. "Nochmal von ganz hinten im Rachen: Wie Wä Wo." Geduldig machen die jungen Schauspieler mit, lassen sich korrigieren, wiederholen Silben, Takte. Dann geht‘s ans Rennen, Fangenspielen, alle gegen eine(n). Warum? Weil man mal gefühlt haben muss, wie sich das anfühlt. Und auch, wie es klingt, wenn das Gegenüber auf ein inständiges "Bitte!" nur schroff "Nein!" sagt. Zehn Minuten lang stehen sie sich paarweise gegenüber, dürfen nicht mit dem Körper ausweichen, blicken sich in die Augen, immer wieder "Nein!". Dann werden die Rollen getauscht.

"Es ist etwas anderes, ob man einen Text lernt oder ob man einfach mal die Situation auf sich wirken lässt", erklärt Anja Sparberg die Übung. Fertige Dramen von Autoren werden hier nicht gespielt. Annäherung, Abstand, — das sind die geübten Details, die sich in der anschließenden Improvisation wiederfinden. Aus spontanen Ideen der Klubmitglieder wird irgendwann ein Stück.

Schauspielen am Seil

Ganz handfest probt die Gruppe, die sich mit Ingo Schweiger in die Tiefe stürzt. Vertikal werden sie in der Blauen Nacht tanzen, abgeseilt vom Dach des Schauspielhauses. Das ist gewöhnungsbedürftig. Nach einer Sicherheitseinweisung und Proben auf festem Grund wagen die Performer den Schritt über die Kante – und haben dann sichtlich Spaß. Am 4. Mai soll dann alles ineinander fließen: Parallel werden die verschiedenen Klubs Szenen spielen, dazu kommt das Seniorentheater Tempo 100 und der Nürnberger Gospelchor.

Kostet das nicht richtig Überwindung, so nah vor dem Publikum, quasi zwischen den Blaue-Nacht-Flaneuren, so aus sich herauszugehen? Inge Bickel, ein Alter Hase unter den Hobby-Schauspielerinnen, winkt nur ab. Andere sind schon aufgeregter, freuen sich aber vor allem auf die zweistündige Aufführung. "Wir sind ja in der Gruppe, das gibt unheimlich Sicherheit", sagen sie. Improvisieren ist dabei nochmal eine Kunst für sich. Sollen sie doch lieber alles aufschreiben und einstudieren? "Ich hab da keine Probleme, das machen wir spontan", sagt dann eine der Schauspielerinnen ganz locker. Anja Sparberg traut es ihnen zu.

"Liebe: jetzt" eint Junge wie Alte. Vor allem die Liebe zum Theater.

InfoPerformance am 4. Mai zwischen 21 und 23 Uhr auf dem Richard-Wagner-Platz.

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