Männer im Erzieherberuf – immer noch selten
26.06.2012, 18:44 Uhr
Lore Müller ist begeistert. Denn die Leiterin des evangelischen Familienzentrums in Johannis hat für ihre Einrichtung eines der seltenen Exemplare ergattert: einen männlichen Erzieher. Und es bereitet ihr eine besondere Genugtuung, wenn sie sagt: „Der Stephan ist bei uns der Renner.“
Über eine steile Stiege mit kindgerechtem Geländer an beiden Seiten geht es hinunter in den Keller des Hauses in der Julienstraße. Vorbei am Heizungskeller gelangt man in Räume, die erst vor ein paar Monaten von Gerümpel befreit und in eine Werkstatt verwandelt wurden.
Inzwischen zählen sie zu den Lieblingsräumen der Kinder. Hierher kommen sie in ihrer „Freispielzeit“, dann, wenn sie selbst entscheiden dürfen, was sie machen. Zwischen 10 und 14 Kinder seien immer da, sagt Stephan Tischer.
Auch diesmal herrscht reger Betrieb. Vanessa hat soeben ein Holzstück in den Schraubstock eingespannt, sie hantiert mit einer Säge, dann mit Schleifpapier. Ganz klar, sie arbeitet an einer Fee. Semy und Maxim wiederum bauen gerade einen Roboter. Eifrig zersägt Semy ein Metallstück, konzentriert beugt er sich darüber.
„Maxim hat einen richtigen Entwicklungssprung nach vorn gemacht“, sagt Matthias Schuchardt. Sein Sohn habe an Selbtbewusstsein gewonnen, seine Sprachschwierigkeiten seien zurückgegangen, er erzähle mehr als vorher und tausche sich mit anderen aus. Matthias Schuchardt ist rundum zufrieden damit, dass jetzt ein Mann das Frauenteam des Familienzentrums unterstützt.
Claudia Rutz stimmt ihm vorbehaltlos zu. Sie habe es von Anfang an gut gefunden, dass ein Mann kommt, sagt sie. Das sei nicht bei allen so gewesen, die Mütter einiger Mädchen hätten sogar geweint. Die Bedenken seien allerdings bei allen schnell ausgeräumt gewesen, Stephan Tischer hat die Zuneigung der Kinder und das Vertrauen der Eltern gewonnnen.
Dass er heute in einem Kindergarten arbeitet, ist nicht selbstverständlich. Der 28-Jährige, der in Rummelsberg zum Erzieher und danach zum Diakon ausgebildet wurde, erzählt, dass er in seinem Jahrgang der einzige Diakon gewesen sei, der in einen Kindergarten ging. Zuvor arbeitete er in einem Kinder- und Jugendheim, bevor er dann noch eine Ausbildung zum Werklehrer dazwischenschaltete.
„Ein Glücksfall“, findet Lore Müller. Doch „selbst wenn Stephan andere als handwerkliche Gaben hätte, hätte ich ihn genommen“ fügt sie hinzu. „Wir als Familienzentrum haben die Aufgabe, familienergänzend zu arbeiten“, erklärt sie. „Da gehört auch ein Mann ins Team hinein.“ Zwar könne dieser nicht den Vater bei den Kindern ersetzen, dennoch verkörpere er die Vaterfigur, die bei manchem Kind zu Hause nur selten Zeit hat.
Stephan Tischer, der inzwischen Vater von Zwillingen geworden ist, räumt ein, dass er bis vor kurzem wenig Erfahrung mit kleinen Kindern hatte. Jetzt sei die Arbeit im Kindergarten für ihn eine der schönsten Aufgaben. „Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, wie glücklich man die Kinder mit den einfachsten Sachen machen kann“, sagt er.
Diese Erfahrung könnten mehr Männer machen – wenn sie sich bloß trauen würden. „Jungen Männern fällt der Zugang zu kleinen Kindern oft schwer“, sagt Almut Stubenvoll, die Leiterin der evangelischen Fachakademie für Sozialpädagogik in Nürnberg. „Da müssen die Männer erst selbstbewusster werden.“ Die Jugendarbeit reize Männer mehr. Das liege aber auch daran, dass das Image einer Erziehung im Elementarbereich das geringste sei. Obwohl Männer bereits Mut zeigen, wenn sie sich überhaupt für den Beruf Erzieher entscheiden, räumt Stubenvoll ein. Das hänge letztlich auch mit der geringen Bezahlung zusammen.
Das Thema ist nicht neu. Männer in Kindertagesstätten „haben Exotenstatus“, sagt Walter Josef Engelhardt, Dozent an der evangelischen Fachakademie. Und: „Sie gehören auch in die Erziehung von Kleinkindern.“ Um genau hier eine Veränderung zu erreichen, wurde vor zwei Jahren das bundesweite Projekt „Männer in Kitas“ ins Leben gerufen, das seit April letzten Jahres mit einem Ableger auch in Nürnberg vertreten ist.
Projektleiter Peter Grundler wartet mit Zahlen auf, die verdeutlichen, dass gerade in Bayern noch einiges verändert werden muss. Denn mit nur 1,95 Prozent sind in Bayern die Männer in Kindertagesstätten ganz besonders dürftig vertreten, wobei Nürnberg mit 4,8 Prozent immerhin etwas besser dasteht, aber weit hinter zum Beispiel Darmstadt (7 Prozent) oder Flensburg (11,9 Prozent) rangiert.
Engelhardt, der beim Nürnberger Modellprogramm „Mehr Männer in Kitas“ mitarbeitet, bietet seit 15 Jahren eine Veranstaltung für männliche Studierende an, wo sie ihre „Männeridentität in der Kindertagesstätte“ überdenken. Engelhardt hat vier Phasen ausgemacht, die sie im Kindergarten durchlaufen – von der Hausmeisterphase über die Kumpel-und Raufphase bis hin zur Differenzierungsphase. Letztere sei das, was angestrebt werden müsse. So können Kinder erfahren, wie Männer und Frauen im Team arbeiten und Konflikte lösen.
Bereits seit 20 Jahren arbeitet Bernd Hofmann „allein unter Frauen“, wie er sagt. Und eben – im Team. Dort hat er ein paar spezifische Aufgaben übernommen: So leitet der Erzieher des evangelischen Kindergartens St.Jobst seit zehn Jahren ein Vater-Kind-Zelten (siehe Artikel unten), kocht mit den Vätern, veranstaltet Gesprächstreffen. „Bei den Vätern sinkt die Schwellenangst, wenn ein Mann im Kindergarten arbeitet“, hat er beobachtet.
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