Mit Elvis‘ Hüftschwung in die Bundesliga

14.03.2019, 22:01 Uhr
Mit Elvis‘ Hüftschwung in die Bundesliga

© Fotos: Roland Fengler

Unter den falschen Wimpern glitzern Tränen, als die Tänzerin zu den Wertungsrichtern blickt. Drei Männer und zwei Frauen laufen in einer Reihe auf dem Parkettboden, über den sie nur zwanzig Minuten zuvor ihre beigen Tanzschuhe bewegt haben. In wenigen Sekunden wird jeder Kampfrichter ein weißes Schild hochhalten, das die Platzierung anzeigt, die sich die A-Mannschaft des TSC Rot-Gold-Casino Nürnberg ihrer Meinung nach verdient hat. Eine Wertung, bei der ein kleiner Patzer der Tänzerin vielleicht den Unterschied macht. In einer Pirouette hat sie nach zwei Umdrehungen den Fuß hinten am Boden schleifen lassen – viel zu früh.

Es ist einer der wenigen Formfehler, die sich die Mannschaft geleistet hat. Denn es geht für das A-Team um den Sieg im Turnier. Die ersten drei Wettkämpfe der Saison hat das Team bereits gewonnen. Wenn sie auch beim Formationswochenende des TSC Rot-Gold-Casino in Nürnberg Erster werden, ist der Aufstieg in die zweite Bundesliga besiegelt.

Yara Zöbl erwartet heute erst der zweite Auftritt in dieser Formation aus acht Paaren. Seit zwei Jahren ist sie im Verein und tanzte davor, wie viele 15- und 16-Jährige, ganz nebenbei in einer Tanzschule. Der Trainer holte sie im Sommer aus der B-Mannschaft, in welcher der Nachwuchs des Vereins tanzt. Jetzt gehört die 18-Jährige zu den Jüngsten, die im A-Team antreten dürfen. Für sie bedeutet das: doppeltes Training, Woche für Woche zehn Stunden im A-Team plus vier Stunden im B-Team. Dazu Einzeltraining, weil sie auch bei Paartanz-Turnieren antritt. Außerdem ein paar Trainingslager und, ach ja: Abitur. "Zum Glück bin ich gut in der Schule, deshalb klappt fünf- bis sechsmal Training ganz gut."

Mit den Älteren zu trainieren, ist dennoch aufregend für sie. Zöbl ist etwa 1,70 Meter groß und sehr zierlich, ihre Wangenknochen werden durch ein dunkles Rouge hervorgehoben, die Augen sind auffallend geschminkt. Druck spürt sie schon, sagt sie. Alles ist jetzt auf Leistung ausgelegt. Vor allem in dieser Saison, in der sich die Mannschaft im Höhenflug befindet.

"Das liegt auch daran, dass wir von der Uniformität weggekommen sind", meint Sean Welton, einer der Erfahrenen im Team. Der 25-Jährige war dabei, als sich noch alle 16 Tänzer die Haare schwarz färben und am Turniertag mit Schuhcreme einreiben mussten. Heute ist das nicht mehr so. "Wir wurden früher als sehr steril wahrgenommen, was eben auch nicht gut für die Wertung war", erklärt er. Persönliche Akzente zu setzen und möglichst viel eigene Ausstrahlung in jede Tanzbewegung zu legen, hat jeden von ihnen besser gemacht.

Und doch gehört Sean Welton nicht zu den Tänzern, die auf der Tanzfläche die ausdrucksstärkste Mimik zeigen. Viele seiner männlichen Kollegen reißen den Mund beim Tanzen auf, schreien "Hey" oder "Ha" und als Elvis Presley fragt "Who needs money?", formt ihr Mund die Worte: "I do!" Casino-Stimmung ist für fünf Minuten in die Sporthalle des BBZ eingekehrt. Etwa 600 Menschen sitzen dort in den Zuschauerreihen. Sie jubeln wie bei einem Rockkonzert, während Stimmen, die nach Ray Charles und Bruno Mars klingen, von Geld und Freiheit singen. Welton wirbelt seine Partnerin dreimal im Kreis, der Rock des grünen Kleids fächert sich dabei auf. Sein Blick ist konzentriert nach oben gerichtet, zu dem Punkt auf der Tribüne, an dem die Wertungsrichter stehen und ausdruckslos zurückschauen.

Als Welton fünf Minuten später vom Parkett schreitet, gräbt sich ein Rinnsal aus Schweiß vom Haaransatz aus eine helle Spur in sein Make-up. Damit die Tänzer im kalten Neonlicht der Halle nicht blass aussehen, tragen alle einen sehr dunklen, fast orange wirkenden Farbton im Gesicht. Bereits um 8.15 Uhr haben sich die Tänzerinnen fürs Styling getroffen, etwa zehn Stunden vor dem Beginn des Turniers. 45 Minuten Frisieren, 30 Minuten Schminken und 15 Minuten "Braun machen" liegen hinter ihnen. Lidstrich für Lidstrich, Wimpernkranz für Wimpernkranz wurde aufgemalt und aufgeklebt, jedem Körper wurde mit Bräunungs-Spray eine dunklere Hautfarbe verpasst.

Das Team trifft sich vor der Umkleide der Mannschaft. Dann sprechen sie die Videoaufnahme des ersten Auftritts vor einem Flachbildfernseher durch. Das Video stoppt. "Das Feuer", sagt Ernst Rych, "will ich jetzt im Finale sehen." Im großen Finale, für das sich die besten sechs aus neun Teams in der Vorrunde soeben qualifiziert haben, wird sein Team als erstes aufs Parkett gehen. So wurde es ausgelost. Ernst Rych trainiert die Mannschaft, wegen seiner argentinischen Abstammung nennen ihn alle Ernesto.

"Ich will, dass ihr jetzt das Thema des Jahres zeigt: Bewegung, Bewegung, Bewegung." Die 18-Jährige Yara Zöbl wurde nicht kritisiert. Alles gut also. Sie läuft in die Umkleide, schält sich aus ihrem grünen Kleid und reicht es der nächsten Tänzerin.

Der Formationstanz ist ein sehr teurer Sport. Wenn ein Tänzer aufhört, wird sein Kostüm an seinen Nachfolger angepasst. Die Applikationen nähen die Tänzer großteils selbst auf. In der aktuellen Choreografie erstrahlen auf den sonst schwarzen Schultern der Männer silberne Pailletten, vom Hals der Frauenkleider hängt ein Wasserfall aus goldenen Perlen herab.

Am meisten kostet allerdings die Musik: Bis zu 20 000 Euro fallen für ein Stück an. Denn jedes Lied wird in einem Münchener Tonstudio von Sängern neu aufgenommen, von einem Orchester eingespielt, die Pop-Klänge von einem Produzenten auf lateinamerikanischen Rhythmus gebracht. Aus praktischen Gründen zeigen Team A und B von Rot-Gold-Casino dieses Jahr dieselbe Choreografie – und Team B tanzt in Kleidern, die vor drei Jahren noch Team A getragen hat.

Kurz vor dem Finale sitzt Yara Zöbl auf der Zuschauertribüne. Jeder Tänzer des Teams durfte heute aufs Parkett, sie aber nur in der Vorrunde. Als ihre Mannschaft zum Finale antritt, erbebt die Tribüne unter dem Stampfen von hunderten Füßen.

Am Anfang brüllt Sean Welton den Schlachtruf. "Power, Power, Power, Yeah!", rufen sie im Chor. Dann startet die Musik mit tiefen Bässen, alle trommeln sich im Gleichtakt auf die Brust und wippen dabei mit einem Fuß. Wenn er spürt, dass die Energie auf die Zuschauer überschwappt – das ist für Welton der größte Moment. In jedem seiner Tanzschritte stecken hunderte Stunden Technikarbeit. Tüfteleien des Trainers Ernesto, der jetzt breitbeinig im schwarzen Anzug vor seiner Tanzgruppe sitzt. Ihnen vom Rand der Tanzfläche zujubelt und ebenfalls im Takt mit dem Fuß wippt. Es ist Millimeter-Arbeit in jeder Armbewegung, Bewegungstraining in jedem Hüftschwung, der jetzt locker und lasziv aufs Parkett gebracht wird. Jeder Tanzschritt wurde einstudiert für diesen Moment.

Als Ernesto und seine Tänzer zwanzig Minuten später am Rande der Zuschauertribüne stehen und auf die Wertungsrichter warten, ist ihre Anspannung fast greifbar. Der Atem, der zuvor in Schlacht- und Jubelrufen strapaziert wurde, wird jetzt kollektiv angehalten. Eine Tänzerin hält erste Tränen zurück, weil sie im Finaltanz einen Fehler gemacht hat: Bei einer Pirouette hat sie nach zwei Umdrehungen den hinteren Fuß am Boden schleifen lassen – viel zu früh.

Jetzt ist es so weit. Die Wertung für Mannschaft A der Regionalliga Latein, sie fällt: 1 – 1 – 1 – 1 – 1. Einstimmigkeit auf den Wertungstafeln, Rot-Gold-Casino belegt den ersten Platz. Tränen graben Schlieren in die Wangen der Tänzerin, die künftig in der zweiten Bundesliga tanzen wird. Das kann ihr keiner mehr nehmen.

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