Mit Leni Riefenstahl im Kahn über die Pegnitz schippern
10.01.2020, 17:30 Uhr
"Meinem lieben Karl zur Erinnerung an viele schöne Stunden im Kahn mit seiner Klara" – diese Worte schrieb die 16 Jahre alte Klara Kleining im November 1942 auf die Rückseite eines Fotos, das sie ihrem großen Bruder schenkte. Es zeigt sie im geblümten Kleid stehend im Boot, mit Strickjäckchen und frisch geputzten Absatzschuhen, die Haare im Nacken zusammengebunden, ein Lächeln auf den Lippen.
Etwas ungewöhnlich ist der Ort: Klara schipperte mit ihrem Kahn auf der Pegnitz etwa auf Höhe der Insel Schütt – auf dem Flussarm in der Nürnberger Altstadt, der heute zwischen Spitalbrücke und Hoher Steg liegt. Das Haus ihrer Familie in der Fetzergasse 18 hatte damals zwar keinen Keller, dafür aber einen direkten Zugang zum Fluss.
Die Familie ihrer Mutter Klara, schreibt NZ-Leserin Heidi Brunner, habe das Boot rege genutzt. "Als die Filmemacherin Leni Riefenstahl während eines Reichsparteitages einmal in Nürnberg war, fuhr sie mein Onkel Karl im Familienkahn über die Pegnitz, damit sie von dort die geschmückten Fischerhäuser am Ufer drehen konnte." Alle seien mit Hakenkreuz-Fahnen dekoriert gewesen.
Was die bekannte Regisseurin und Fotografin mit den Aufnahmen machte, ist unklar. Martina Christmeier vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände weiß aber, dass es in Riefenstahls Film "Triumph des Willens", den sie während der Veranstaltung 1934 in Nürnberg drehte, tatsächlich eine kurze Pegnitzfahrt gibt.
Auch im offiziellen Parteitagsband von 1933 hat die wissenschaftliche Mitarbeiterin zwei Ansichten der Pegnitz entdeckt, allerdings ohne den Namen des Fotografen. "Besonders interessant ist es, dass auf dem Foto rechts die Synagoge am Hans-Sachs-Platz zu sehen ist", schreibt Christmeier dazu. Diese hatten die Nationalsozialisten im Jahr 1938 abgebrochen.

Auf Bildern aus den 1930er Jahren vom Haus der Familie Kleining ist die Synagoge im Hintergrund noch zu sehen. Das Gebäude selbst hat drei Geschosse und zwei üppig bewachsene Balkone, die über das Wasser auf die Insel Schütt blicken.
Im Erdgeschoss befand sich eine Schreinerei: Klaras Vater Christoph Kleining war Meister und stellte unter anderem Hochglanzmöbel her. "Er beschäftigte immer Gesellen und hatte erstaunlicherweise bereits in der Vorkriegszeit einen begehrten Telefonanschluss, damit er mit seinen Kunden kommunizieren konnte", sagt Heidi Brunner.
Ihre Mutter lebte mit ihrem Bruder und den Eltern im ersten Stock. Da-
rüber lag die Wohnung von Klaras Onkel Wilhelm, seiner Frau und den "vier sehr lebhaften Töchtern, die immer nach der neuesten Mode gekleidet waren" und unüberhörbar in ihren hochhackigen Schuhen im Haus umherstöckelten.
Die Toilette befand sich auf dem Balkon: Wenn Klara das Mittagessen nicht schmeckte, zum Beispiel zähes Rindfleisch, entsorgte sie es in die Pegnitz zu den Fischen, erzählt Brunner. Mit der Toilette hatte ihre Mutter eine gute Ausrede.
Die junge Frau machte bei der alteingesessenen Nürnberger Firma Herzog eine Ausbildung. Die verkaufte damals nicht nur Brautmoden, sondern auch Kunstgewerbeartikel wie künstliche Blumen. Die Schreinerei des Vaters wollte ihr Bruder übernehmen, doch Karl Kleining verlor im Krieg sein rechtes Bein. Außerdem traf der Fliegerangriff vom 2. Januar 1945 auch das Gebäude in der Fetzergasse 18. Die Familie überlebte den Angriff unbeschadet – Klara war damals nicht in Nürnberg, weil sie den sogenannten Reichsarbeitsdienst außerhalb der Stadt ableistete.
Haus und Werkstatt seien aber komplett zerstört worden, sagt Tochter Heidi Brunner. "Auch die wunderschöne Puppenküche meiner Mutter, von der sie mir öfter mit leuchtenden Augen vorschwärmte, war nicht mehr zu retten." Die sonstige Einrichtung im Haus, etwa Stofftischdecken und übrige Wäsche, sei so hohen Temperaturen ausgesetzt gewesen, dass sie äußerlich wie unversehrt aussah, aber bei der geringsten Berührung zu Asche zerfiel.
Heute gibt es nicht nur das Haus nicht mehr – auch die Fetzergasse selbst ist aus Nürnberg verschwunden. Laut Stadtlexikon ist sie zusammen mit zwei weiteren südlich zur Neuen Gasse in Richtung Pegnitz verlaufenden Straßen, der Binsen- und der Sonnengasse, nach 1945 zum Teil überbaut worden oder nur noch Fußgängerbereich.
Die nach dem Krieg gebauten Häuser sind ein Stück nach hinten gerückt – die ehemalige Adresse Fetzergasse 18 befindet sich heute ungefähr auf Höhe der Neuen Gasse 34. Den direkten Zugang zur Pegnitz gibt es nicht mehr; zwischen Fluss und Gebäude verläuft nun der Leo-Katzenberger-Weg.
Passionierte Paddler müssen aber nicht enttäuscht sein: Auf dem Abschnitt, auf dem Klara Kleining einst mit ihrem Kahn dahinschipperte, ist das Bootfahren heute sowieso nicht mehr erlaubt.
Liebe NZ-Leser, haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Zeitung, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail:
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